Man tut, was man kann (German Edition)
inzwischen Spitzengeschwindigkeiten von fünfundsechzig Stundenkilometern.
Wir brauchen noch ein paar Minuten bis zu Frau Hoffmann, die wir auf dem Weg zum Flughafen abholen. Ich betrachte Bronko, wie er die Straße scannt, und denke an seine unglückliche Liebe zu Claudia.
«Was wirst du eigentlich jetzt tun, wo du weißt, dass Claudia unerreichbar ist?», frage ich und hoffe, dass die Antwort mir helfen kann, damit umzugehen, wenn mich dasselbe Schicksal mit Iris ereilt hat.
«Nichts», sagt Bronko zielsicher.
«Nichts?», wiederhole ich leicht erstaunt.
«Ja, ich mache jetzt mal Pause mit allem.»
«Und das heißt?», frage ich. «Kein Sex? Keine Beziehung? Oder was?»
«Keinen Sex hab ich sowieso», erwidert Bronko. «Ich hab außerdem beschlossen, der Liebe nicht mehr hinterherzulaufen.»
Ich überlege. «Das klingt irgendwie nicht sonderlich gesund», sage ich dann. «Müssen wir nicht der Liebe hinterherlaufen?»
«Schon», erwidert Bronko, «hab ich ja probiert mit Claudia. Sie ist meine große Liebe. Und was jetzt? Soll ich meine zweitgrößte Liebe suchen?»
«Ja, vielleicht», sage ich. «Vielleicht gibt es außerdem nicht nur eine große Liebe im Leben, sondern mehrere.»
Bronko schweigt eine kurze Weile, dann sagt er: «Vielleicht hast du recht, vielleicht nicht. Ich will mich einfach nicht mehr irremachen lassen von irgendwelchem Herzschmerz.»
Der Wagen hält. Frau Hoffmann wartet bereits auf der Straße. Es sieht so aus, als würde sie schon die halbe Nacht dort stehen, und ich befürchte, das entspricht den Tatsachen.
Bis zum Start des Flugzeugs redet Frau Hoffmann kaum. Dann scheint sie sich ein bisschen zu entspannen, vielleicht weil wir nun unterwegs sind und die Dinge somit unabänderlich ihren Lauf nehmen werden.
«Was, wenn er uns überhaupt nicht sehen will?», fragt sie dann aber doch ein wenig unbehaglich irgendwo über dem Atlantik.
«Machen Sie sich keine Sorgen», erwidere ich aufgeräumt, «er wird Sie bestimmt sehen wollen.»
Ich weiß nämlich, dass er uns empfangen wird, ich habe ihn längst angerufen. Aber das muss Frau Hoffmann ja nicht wissen. Er wird es ihr auch nicht sagen, denn nachdem er sich zunächst kategorisch geweigert hatte, mit seiner Mutter zu sprechen, habe ich ihn vor die Wahl gestellt, ihr entweder eine halbe Stunde unter vier Augen zu schenken oder das Wiedersehen von Mutter und Sohn als lokales Medienevent zu inszenieren. Eine Familienzusammenführung nach über fünfzehn Jahren wäre sicher ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse. Ich fragte Thorben deshalb, ob er es sich als Ingenieur in einer großen Firma leisten könne, seiner armen Mutter vor laufenden Kameras und im Blitzlichtgewitter die Tür vor der Nase zuzuschlagen, wo es doch in den USA nicht vieles gebe, was wichtiger sei als die Familie. Er zeterte zwar noch eine Weile, erklärte sich aber schließlich bereit, mit Frau Hoffmann zu reden.
Ich setze jetzt darauf, dass die Herzen einer Mutter und eines Sohnes ganz naturgemäß zueinanderfinden werden. Außerdem denke ich inzwischen sowieso, man kann Menschen zu ihrem Glück zwingen, das haben mir all jene Frauen beigebracht, denen ich geholfen habe, ihre Männer in den Hafen der Ehe zu schleppen.
Detroit ist erwartungsgemäß hässlich. Thorben wohnt mit seiner Familie in einem schmucken Einfamilienhaus etwas außerhalb. Er selbst ist schlank, hoch gewachsen, hat eine kahle Stirn und erinnert mich ein wenig an Adenauer. Marcia, seine Frau, ist eine attraktive Mittdreißigerin, hat sich aber durch ihre Frisur und ihre Kleidung ein mütterliches Image verpasst, das sie ein wenig älter erscheinen lässt.
Die Begrüßung ist formell bis unterkühlt, Thorben und seine Mutter ziehen sich in den Wohnraum zurück, der von der Küche durch eine Glastür getrennt ist, ich bleibe mit Marcia in der Küche, die Kinder sind unterwegs. Derweil ich mit Marcia über das Wetter in Detroit und den letzten Winter plaudere, kann ich zwar nicht hören, was die beiden im Wohnzimmer reden, ich habe mich aber so positioniert, dass ich sie durch die Glastür beobachten kann.
Eine Weile wirkt Thorben reserviert, während Frau Hoffmann ihm gestenreich Dinge erklärt. Schließlich lehnt er sich ein wenig vor, und seinem Gesicht ist anzusehen, dass immerhin nicht spurlos an ihm vorübergeht, was sie ihm gerade berichtet.
Marcia bietet mir einen weiteren Tee an, den ich freundlich dankend annehme, sie sabbelt irgendwas über die Detroiter
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