Man tut, was man kann (German Edition)
Kunstszene.
Frau Hoffmann ist gerade sehr bewegt, man sieht es einerseits daran, dass sie sich verstohlen mit der Hand durchs Gesicht wischt, andererseits an Thorbens leicht bestürzter Miene.
Ob ich schon öfter in Amerika war, will Marcia wissen, und ich zähle rasch ein paar Städte auf, bis eine darunter ist, zu der Marcia eine Weile monologisieren kann, ohne mich bei meinen Beobachtungen zu stören.
Jetzt ist es an Thorben, seine Sicht der Dinge zu erklären. Seine Gesten wirken etwas hilflos, er scheint Fragezeichen in die Luft zu malen. Frau Hoffmann hört ihm aufmerksam zu, reagiert dann auf Thorbens Fragen und Vorwürfe, indem sie energisch den Kopf schüttelt und sich dann erneut erklärt. Diesmal wirken ihre Gesten nachdrücklicher als zuvor, was Thorben in die Defensive zu treiben scheint. Er scheint nun nachdenklich, sein Körper malt beim Reden nur noch Miniaturen in die Luft.
Marcia ist es nicht verborgen geblieben, dass ich weniger an ihren Ausführungen und mehr an den Geschehnissen im Wohnzimmer interessiert bin, denn plötzlich fragt sie mich, wie es da drinnen aussieht.
«Nicht schlecht, würde ich sagen», antworte ich.
«Es wäre schön, wenn die beiden einander näherkämen», sagt sie. «Thorben spricht nicht viel darüber, aber ich ahne, dass er über die Situation nicht glücklich ist.»
Das konveniert ausgezeichnet mit meinen Plänen, denke ich und sehe gerade, dass Frau Hoffmann nun die Tränen nicht mehr zurückhalten kann. Sie zieht ein Taschentuch hervor und tupft damit hektisch um ihre Augen herum.
Marcia beugt sich zu mir herüber, um nun ebenfalls ins Wohnzimmer sehen zu können.
«Entschuldigung, wenn ich abgelenkt bin», sage ich. «Aber …»
«Kein Problem», lächelt Marcia und flirtet ein wenig mit mir.
In diesem Moment legt Frau Hoffmann ihre Hände in den Schoß, umklammert ihr schneeweißes Taschentuch und sieht ihren Sohn traurig an. Sie scheint gesagt zu haben, was in der Kürze der Zeit zu sagen war, weiß nun nicht, wie es weitergeht, und vertraut darauf, dass ihre Worte alles erklärt, alles beinhaltet haben, was sie denkt und fühlt.
Eine Weile schweigen die beiden. Thorben sieht ebenfalls traurig aus. Dann kommen auch ihm die Tränen, er senkt den Blick und legt dabei langsam und vorsichtig seine Hände auf die ihren.
«Oh, das ist schön», sagt Marcia in breitestem American English, und mit leichtem Befremden nehme ich zur Kenntnis, dass sie ihren Busen dabei ostentativ gegen meinen Oberarm drückt.
ICH LIEBE DICH
Die Tatsache, dass Herr Engelkes mehrmals am Tag in meinem Büro steht und mich entweder mit Verbesserungsvorschlägen oder Detailfragen zu innerbetrieblichen Abläufen nervt, erinnert mich daran, dass mir nicht mehr sehr viel Zeit bleibt, um zu entscheiden, ob ich mich um Görges’ Posten bewerben oder doch lieber Raakers’ Stellvertreter werden möchte.
Ich bin seit ein paar Tagen aus Detroit zurück, denn ich wollte mir die Details der dortigen Familienzusammenführung ersparen. Zwar lernte ich noch Frau Hoffmanns Enkel Nancy und Clarissa kennen, zwei nette Teenager mit guten Zähnen und guten Noten, das große Versöhnungsessen der Familie schwänzte ich aber, indem ich wichtige Termine vorschob. Gleichzeitig gab ich Frau Hoffmann ein paar Tage Urlaub, um die gerade neugeknüpften Familienbande festigen zu können.
Heute ist Frau Hoffmann erstmalig wieder im Büro und scheint regelrecht beseelt. Ich glaube sogar, sie ein Liedchen summen gehört zu haben, was zuletzt der Fall war, als sie bei einem Preisausschreiben ein Urlaubswochenende im Schwarzwald gewann.
«Haben Sie einen Moment Zeit für mich?», fragt sie kurz vor Mittag.
Ich nicke.
«Ich wollte Ihnen nur nochmal für alles danken», sagt sie, setzt sich vor meinen Schreibtisch, streicht ihren Rock glatt und wirkt glücklich.
«Gerne», sage ich und freue mich, dass sie sich so freut.
«Ich weiß nicht, wie ich das je wiedergutmachen soll.»
«Oh. Ich schon», sage ich lächelnd.
Sie lächelt ebenfalls. «Ich weiß, Sie meinen die Sache mit Ihrer Tochter …»
«Genau», erwidere ich, «Sie müssen mir lediglich versprechen, ein Auge auf meine Tochter zu werfen, wenn Sie nach Detroit gezogen sind.»
Sie stutzt. «Wieso denken Sie, dass ich nach Detroit ziehe?»
«Werden Sie das etwa nicht?»
«Doch, schon, ich frage mich nur …» Sie unterbricht sich, denkt nach, sieht mich an und versteht. «Sie haben das von Anfang an so geplant, richtig?»
Ich lächle.
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