Mann Ohne Makel
ist alles.« Er hob den Zeigefinger. »Das ist nicht alles. Kurz nach Beginn des Seminars in diesem Sommersemester begann sie mir nachzustellen.«
Stachelmann glaubte Mitleid in Möllers Augen zu entdecken.
»Und dann haben Sie sich nicht mehr wehren können«, sagte Möller mit sanfter Stimme.
»Nein, verflucht!« Stachelmann erschrak über seine Stimme, sie war laut und durchdringend. »Das ist eine Hysterikerin. Die ruft alle paar Tage an und will mich besuchen. Weiß der Henker, warum sie sich vorgenommen hat, mir hinterherzulaufen.«
Möller lächelte. Es schien so, als sagte er: Ja ja, sprich dich aus. Ich glaube dir sowieso kein Wort. Er sagte: »Nun gut, wie dem auch sei, ich schätze, Sie haben eine Verantwortung für Frau Weitbrecht. Wenn Sie wollen, betrachten Sie diese Verantwortung als Ausfluss jener allgemeinen Verpflichtung, die wir Menschen gegeneinander haben, weil wir Menschen sind.«
Stachelmann hätte fast laut gestöhnt. Möller war mindestens genauso verrückt wie Alicia. Dem muss sie ein tolles Theater vorgespielt haben, dachte Stachelmann.
»Es wäre schön, Sie könnten sie gleich besuchen. Und wenn wir sie dann entlassen, sollten Sie den Kontakt nicht abbrechen. Wenigstens nicht gleich.«
Wer hatte diese Pfeife eingestellt? Stachelmann mühte sich, seinen Zorn zu unterdrücken. »Ich bin nicht Frau Weitbrechts Privattherapeut. Es mag schon sein, dass es der Frau gelungen ist, Sie davon zu überzeugen, dass ich ein herzloses Monster bin …«
»O nein«, sagte Dr. Möller, »Frau Weitbrecht hält Sie für einen wunderbaren Menschen.« Seine Augen strahlten.
»Ich werde Frau Weitbrecht nicht besuchen. Und ich fände es gut, sie würde meine Seminare und mich möglichst großflächig meiden. Ich habe ihr keinen Anlass gegeben, auch nur zu träumen, es bestünde die geringste Chance, dass ich mehr mit ihr tun haben wollte als mit irgendeinem anderen Teilnehmer meines Seminars. Ich kann nicht einmal sagen, dass sie zu den Leuchten zählt.«
Dr. Möller lächelte freundlich: »Mir scheint, dass gerade Ihre Aufgewühltheit eine deutliche Sprache spricht …«
Stachelmann stand auf. »Wissen Sie was, sagen Sie ihr, beim nächsten Mal soll sie ein Messer nehmen. Aber bitte die Pulsadern längs aufschneiden, sonst klappt es nicht. Habe ich mal irgendwo gelesen. Und jetzt wünsche ich Ihnen einen schönen Tag mit Ihrer Patientin. Vielleicht haben Sie ja Verwendung für sie.«
Er knallte die Tür zu und ging. Nach wenigen Schritten kam er sich hart vor, nach weiteren grausam. Einen Augenblick zog es ihn zurück, aber dann stellte er sich Dr. Möllers triumphierenden Gesichtsausdruck vor. Er ging schneller. Ein kalter Wind blies durch die Straßenschluchten, mitten im Sommer.
***
Der Mann war klein und fett. Er hatte eine Hornbrille auf der Nase. Er redete langsam, als würde es ihm Qualen bereiten, Ossi wurde ungeduldig. Der Dicke war einer der beiden Wirtschaftsermittler, die Taut angeheuert hatte. Sie hatten Hollers Akten in einem ersten Durchgang angesehen. Taut hatte sie überredet, ein Zwischenergebnis ihrer Prüfung vorzutragen.
Der Dicke hieß Steinbeißer. »Sie wissen, meine Herren, mein Kollege Tannhuber und ich finden es, na, sagen wir mal, nicht ganz seriös, dass ich Ihnen schon etwas über Akten sage, die wir nicht genau prüfen konnten. Dafür war die Zeit zu kurz, wir werden noch wenigstens zwei Wochen damit zu tun haben. Aber Sie sagten, Sie hätten keine Zeit, Ihre verstorbene Kollegin, dringender Fall, wir verstehen das. Aber verstehen Sie bitte, wenn wir auf keinen Fall einen schriftlichen Zwischenbericht vorlegen. Es mag durchaus sein, dass unsere jetzigen Auskünfte sich im Licht des Ergebnisses als teilweise oder sogar ganz falsch herausstellen. Das ist gewiss unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Insofern hat das, was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, keinerlei Beweiskraft. Deshalb frage ich mich auch weiterhin, was Ihnen meine Angaben nützen sollen.« Er zuckte mit den Achseln und strich sich durch das fettige Haar.
»Und?«, fragte Taut.
Steinbeißer murmelte etwas, zu leise, als dass es jemand hätte verstehen können. Dann streckte er seine Schultern.
»Herr Holler ist ein reicher Mann, sofern er die beträchtlichen Gewinne seiner Firma nicht in der Spielbank abgegeben hat. Er besitzt die größte Immobilienfirma in Hamburg …«
»Das habe ich auch in der Zeitung gelesen.« Es war Ossi herausgeplatzt. Steinbeißer belastete die Nerven seiner
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