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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Stapel stieß mit der Signatur NS 3. Der Stapel bestand aus vier Ordnern. Auf dem Stapel lag ein Formular. Besteller: Peter Carsten, Finanzbehörde Hamburg, Gorch-Fock-Wall 11. Der Name des zweiten Manns war nicht verzeichnet. Stachelmann nahm den Aktenstapel und legte ihn auf den Tisch. Er setzte sich auf einen Stuhl und öffnete den ersten Ordner. Er erkannte schnell, es waren Akten aus den Beständen des persönlichen Büros von Pohl. Das meiste war Korrespondenz. Er schlug auch die anderen Aktenordner auf und legte sie nebeneinander auf den Tisch. Er lief zwischen den Ordnern hin und her und blätterte. Er hatte Angst, jemand würde ihn erwischen, und hoffte, schnell einen Überblick zu bekommen. Im zweiten Ordner fiel ihm auf, dass die meisten Briefe aus Hamburg stammten. Er überflog die Schreiben. Ihre Absender waren SA- und SS-Offiziere. Es ging in allen Schreiben um die gleichen Geschichten. Ein Nazifunktionär zwingt einen Juden, ihm sein Eigentum zu verkaufen oder zu schenken, was angesichts der kläglichen Kaufbeträge auf das Gleiche hinauslief. Der Staat, meistens in Gestalt der Finanzbehörde, protestiert. Die Einziehung von Feindvermögen sei einzig Sache der Finanzverwaltung des Großdeutschen Reichs. Der Nazifunktionär schreibt an die Chefs, um für sich wegen seiner Verdienste um die Bewegung einen Ausnahmefall zu beanspruchen.
    Stachelmann blätterte. Das Schreiben eines Gauwirtschaftsberaters fiel ihm auf, es trug eine Unterschrift, die Selbstbewusstsein ausdrückte oder Maßlosigkeit. SA-Standartenführer Robert Enheim protestierte in dem Brief, datiert vom 19. April 1941, gegen den Versuch der Hamburger Finanzbehörde, ihm ein Haus und ein Grundstück wegzunehmen, das er legal erworben habe von einem Juden, der »nach dem Osten verreist ist«. Der Kaufvertrag datiere vor dem November 1938, die Einziehung von Feindvermögen durch den Staat sei noch nicht Gesetz gewesen. Enheim erinnerte SS-Gruppenführer Pohl an gemeinsame Kampfzeiten. Er habe auch an SA-Obergruppenführer Lutze geschrieben und erwäge sogar, dem Führer von dem Unrecht zu berichten, das eine »seelenlose Bürokratie« begehe, von der »wir geglaubt hatten, dass sie von der Nationalen Revolution vernichtet worden ist«.
    Enheim, diesen Namen hatte Stachelmann schon mal gelesen. Es würde ihm wieder einfallen, wo. Er notierte die Signatur NS 3-1/2015 und schaute sich eine Kopiermaschine näher an. Sie waren komplizierter als die Geräte an der Uni oder in Copyshops. Er fand einen roten Kippschalter und legte ihn um. Ein Brummen ertönte, dann schien ein Räderwerk zu laufen. Lampen blinkten in verschiedenen Farben. Stachelmann legte Robert Enheims Brief in einen Schacht, der mit Insert beschriftet war. Er fand einen Knopf Copy, drückte darauf. Das Blatt verschwand in der Maschine, es ertönte ein Schleifgeräusch, Robert Enheims Brief tauchte in einer Papierablage auf der anderen Seite der Maschine wieder auf. Im Schacht darunter entdeckte Stachelmann die Kopie. Er kopierte das zweite Blatt des Briefs, legte das Original zurück in den Ordner, faltete die Kopien und steckte sie in die Innentasche seines Jacketts. Er sah die Blätter in den anderen Ordnern durch. Es ging in vielen Fällen um das, was Historiker später als wilde Arisierung bezeichneten. Nazifunktionäre und andere Räuber nutzten die Notlage von Juden vor der Auswanderung oder der Verschickung aus, erwarben für ein Spottgeld, aber notariell korrekt, Unternehmen, Häuser und Grundstücke. Daraus erwuchs Streit, die Finanzämter pochten auf ihr Recht, das Feindvermögen, so nannten die Nazis das Eigentum der Juden, zu Gunsten der Staatskasse einzuziehen. Das passte den Profiteuren des Raubzugs nicht, sie riefen die Gerechtigkeit an und alle, die geeignet schienen, ihr auf die Sprünge zu helfen. Die alten Kämpfer des Führers zeigten ihre goldenen Parteiabzeichen vor. Sie hatten nicht gekämpft für die braune Revolution, um sich die Beute abnehmen zu lassen von irgendeinem Finanzamt. Schon gar nicht von Steuerheinis, die schon in der Systemzeit gedient hatten. Stachelmann hatte sich hin und wieder damit befasst. Wo blieb der Besitz der Menschen, die eingesperrt und umgebracht wurden? Das gehörte am Rand zu seinem Habilitationsthema. Die Forschung kam nicht so recht voran, auch weil der Bundestag 1988 die Schutzfrist für Finanzamtsakten verlängert hatte. Sonst wäre der braune Morast aus den Kellern der Finanzverwaltungen auf die Straße gequollen. Vielen war

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