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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sie weiter, Herr Hauptmann. Bitte, gehen Sie weiter. Hier können wir gar nichts tun. Bitte sehen Sie auch darüber weg –«
    Ehe sich Schütze dem gestürzten Mädchen zuwenden konnte, hatten zwei SA-Männer es vom Pflaster gerissen und schleiften es zu einem der Wagen. Heinrich Emanuel sah sich um. Vielleicht dreihundert Menschen standen an den Straßenrändern und sahen zu. Dreihundert Menschen, die wehrlos waren, einer Horde brauner Raufbolde entgegenzutreten. Die Polizisten an der Ecke waren weitergegangen. Amelia kam auf Schütze zugerannt und warf sich an seine Brust.
    »Da hinten … da haben sie … glaub ich … sie haben einen Juden erschlagen … Er hat sich gewehrt … ein Juwelier … mit einer Axt haben sie …« Sie weinte haltlos und drückte den Mund gegen den Mantel Schützes.
    »Komm«, sagte er leise. »Gehen wir … Ob man uns das jemals verzeihen wird –«
    Sie fuhren mit der Straßenbahn nach Hause. Überall waren die Fensterscheiben der jüdischen Geschäfte zerschlagen. Betten hingen in den Bäumen, ganze Wohnungseinrichtungen flogen noch immer durch die Fenster auf die Straße. In der Gosse lagen einige Hunde. Man hatte sie erschossen, weil sie ›jüdische Hunde‹ waren.
    Der Wahnsinn kannte keine Grenzen mehr.
    Im Grunewald brannten zwei Villen. Die eine gehörte einem Tierarzt, die andere dem Hausarzt Schützes. Amelias Gesicht war blutleer.
    »Auch er«, stammelte sie. »Hast du gewußt, daß er …«
    »Das hat mich nie gekümmert. Er war ein guter Arzt. Darauf kommt es an.«
    »Wenn man erfährt, daß wir ihn als Hausarzt hatten. Die SS wird wieder kommen –«
    Heinrich Emanuel zog sich zu Hause sofort um. Er legte seine Uniform an, schnallte die Pistole um und ging hinüber zu dem brennenden Haus des Arztes. Ein SA-Scharführer leitete das Zerstörungswerk. Man war gerade dabei, einen Untersuchungsstuhl vor dem Eingang der Villa zu zerschlagen.
    »Wo ist Dr. Bernstein?« schrie Schütze den SA-Scharführer an. Der Braune sah den Hauptmann verständnislos an.
    »Was wollen Sie denn von dem? Sie sehen doch, was hier los ist.«
    »Allerdings sehe ich das! Haben Sie Kinder?«
    »Drei –« Der SA-Mann war verwundert.
    »Waren die mal krank?«
    »Das eine hatte schwere Lungenentzündung. Vor drei Jahren …«
    »Und es war im Krankenhaus?«
    »Im Marienhospital!«
    »Ach! Da war Ihr Kind? Und wissen Sie, wer Ihrem Kind das Leben gerettet hat? Dr. Bernstein! Sind Sie jetzt dabei, ihm Ihren Dank abzustatten?«
    Der SA-Scharführer sah sich um. Er war bleich. Im Eingang vernichtete seine Rotte den Instrumentenschrank.
    »Ich habe von meinem Sturmbannführer den Befehl bekommen. Was soll ich machen, Herr Hauptmann … Wer sich jetzt dagegenstellt … Verstehen Sie mich nicht?«
    Schütze nickte. Es wird unsere Schuld sein, Befehlen gehorcht zu haben, dachte er. Auch meine Schuld. Aber haben wir denn etwas anderes gelernt als gehorchen? Wir sind erzogen worden in dem Bewußtsein, daß andere für uns denken und danach haben wir zu handeln.
    »Wo ist Dr. Bernstein?«
    »Im Behandlungsraum. Er wird bewacht.«
    Heinrich Emanuel betrat die Villa. Ein SA-Mann, der ihm in den Weg trat, flog durch eine Armbewegung gegen die Dielenwand.
    Im Behandlungszimmer saß Dr. Bernstein hinter seinem zerhackten Schreibtisch. Zwei SA-Männer mit Pistolen standen an seiner Seite. Schütze grüßte den zusammengekrümmten Arzt und winkte.
    »Weg mit euch!« schrie er die beiden SA-Männer an.
    »Wir haben –«
    »Raus!« brüllte Schütze. Er schob die Klappe seiner Pistolentasche hoch. Die beiden SA-Männer zuckten mit den Schultern und verließen das Zimmer. Dr. Bernstein hob den Kopf.
    »Was machen Sie?« sagte er keuchend. Man hatte ihn gegen die Brust geschlagen. Sicherlich waren einige Rippen gebrochen. »Sie bringen sich nur in Gefahr. Helfen können Sie mir nicht mehr …«
    »Kommen Sie rüber in meine Wohnung, Herr Doktor …«
    »Man wird mich nicht gehen lassen. Außerdem würden Sie nur ungeheure Unannehmlichkeiten haben …«
    »Ich möchte den sehen, der Sie aus meiner Wohnung holt.« Schütze sah sich um. Er nahm einen Mantel Dr. Bernsteins, der auf dem Boden lag, und legte ihn dem zitternden Arzt um die Schulter. »Kommen Sie, Doktor –«
    »Es ist unmöglich. Sie wissen nicht, was Sie da tun.«
    »Ich weiß es. Jahrelang waren Sie für mich und meine Familie da. Jetzt brauchen Sie mich, und ich bin zur Stelle. Das ist selbstverständlich.«
    »Sie denken zu menschlich …«
    »Sind wir denn

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