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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hochsetzte, schwamm vor der Fensterscheibe die Kontur eines Kopfes.
    Er schnellte sich von den Decken hoch, rannte mit ein paar Schritten zum Fenster und riß die Flügel auf. Eng an die Hauswand gepreßt, sah Pierre Bollet zu ihm hinauf. Über die Straße klapperten die Schritte des Doppelpostens. Das Knirschen ihrer Nagelstiefel war der einzige Laut in der vollkommenen Stille dieser Stunde zwischen Nacht und Morgengrauen.
    »Was willst du denn hier?« flüsterte Heinrich Emanuel Schütze. Er beugte sich über die Fensterbank vor und starrte Pierre in das schweißüberzogene Gesicht. Er mußte wie ein Gehetzter gerannt sein. Sein Atem flog noch stoßweise durch die zusammengepreßten Lippen.
    In Schütze kam eine panische Angst auf. Wenn jemand Pierre entdeckte, wenn die Streife ihn anrief und er rannte weiter … man würde ihn erschießen. Und niemand konnte ihm helfen. Auch ein Major Schütze nicht. Er konnte doch nicht in die Nacht hinausbrüllen: Laßt ihn leben, diesen Franzosen. Er ist mein Sohn –
    »Was willst du hier?« wiederholte er. »Bist du wahnsinnig?«
    »Ich habe über etwas nachgedacht, Herr Major … Ich …«
    »Komm ins Zimmer. Warte –« Sie lauschten beide auf die knirschenden vier Stiefel. Sie gingen die Straße hinab. In drei Minuten würden sie zurückkommen … immer hin und zurück … Pendelposten nannte man das.
    »Gib mir die Hände.« Heinrich Emanuel beugte sich weit aus dem Fenster. Er ergriff Pierres Hände, stemmte die Knie gegen die Zimmerwand und zog den jungen französischen Leutnant in den Raum. Stöhnend wälzte sich Pierre über die Fensterbank ins Zimmer. Als er sich auf einen kleinen Tisch setzte, sah Schütze, daß der Verband durchgeblutet war. Das Bein war geschwollen.
    »Du mußt sofort neu verbunden und zu einem Arzt gebracht werden!« rief er. »Komm, leg dich aufs Bett. Ich hol den Bataillonsarzt.«
    Er stützte Pierre. Humpelnd schleppte er sich zum Bett, aber er legte sich nicht, er setzte sich nur und starrte den deutschen Major an.
    »Sie sagten zu mir: ›Du hast ihre Augen …‹ – Die Augen meiner Mutter, meinten Sie. Woher kennen Sie die Augen meiner Mutter? Woher kennen Sie meine Mutter-?«
    Heinrich Emanuel schloß das Fenster. Er blieb mit dem Rücken zu Pierre stehen und sah hinaus in die wegschwimmende Nacht. Im Osten wurde der Himmel fahlrot. Wie von einem riesigen Pinsel wurde der Horizont streifenweise angestrichen.
    »Das ist eine lange Geschichte, Pierre –«
    »Wir haben Zeit bis zur nächsten Nacht …, wenn Sie mich nicht verraten …« Pierre legte sich aufstöhnend aufs Bett. Schütze fuhr herum. Die Untätigkeit, zu der er verurteilt war, schmerzte ihn körperlich. »Sie kennen meine Mutter-?«
    »Ja.«
    »Sie sind durch Epernay gekommen?«
    »Nein.«
    »Sie –«
    »Ich … ich habe sie in Soustelle kennengelernt. 1915. Charles Bollet, ihr Vater, also Ihr Großvater, wurde gegen mich ausgetauscht. Ich war damals in den Händen der Franktireurs. Später dann –« Schütze schwieg.
    Er zog seinen Uniformrock an, setzte die Feldmütze auf und schnallte das Koppel um.
    »Ich hole den Arzt –«, sagte er stockend.
    »Später … Was war später, Herr Major …?«
    »Hast du starke Schmerzen, Pierre?«
    »Warum weichen Sie aus?« Pierre Bollet richtete sich auf den Ellenbogen auf. Seine Blicke folgten Schütze, der unruhig im Zimmer hin und her lief. »Meine Mutter war anders als französische Mütter. Sie bestand darauf, daß ich deutsch lernte. Von klein an habe ich zwei Sprachen sprechen müssen. Man hat mich ausgelacht, verspottet, angefeindet. Ich habe Schläge bezogen. Aber meine Mutter gab nicht nach. ›Du wirst es einmal nicht bereuen‹, sagte sie. ›Einmal wirst du es gebrauchen können …‹ Ist dieses ›einmal‹ – heute, Herr Major?«
    »Jeanette war ein schönes Mädchen.« Schütze hatte wieder den Rücken zu Pierre gedreht. Seine Worte tropften in den dunklen Raum, als wären sie zähflüssiger Sirup.
    »Ich … Damals war ich Ortskommandant von Soustelle. Jeanette und ich …« Schütze drehte sich um. Pierres Augen starrten ihn an. Weit aufgerissen. Auch sein Mund stand offen. Aber kein Erstaunen, keine Freude, keine Erlösung lagen in diesem Blick. Entsetzen war es. Blankes Entsetzen.
    »Ja … so ist es, Pierre … Und du wirst nun vierundzwanzig Jahre alt –«
    »Sie … Du …« Pierre umklammerte das eiserne Gitter des Bettes. »Ein Deutscher …« Er zitterte plötzlich, die Kraft, die seinen Körper bisher

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