Manöver im Herbst
Kindern? Die ich noch gar nicht kenne. Wir fahren sofort zu Amelia. Los, glotzen Sie nicht … So etwas! Amelia ist hier, und der Kerl redet vom ›Dolchstoß in den Rücken‹!«
Ein Adjutant wurde verständigt. Dann fuhren sie mit dem Dienstwagen des Generals nach Münster hinein und hielten vor dem Café Lamberti.
Während sie über die Straße gingen und das Café betraten, sah sich Heinrich Emanuel um. Nach allen Seiten.
Niemand beachtete sie. Keiner grüßte, keiner stand stramm. Hunderte sahen sie, und keiner ehrte den General. Da drückte Heinrich Emanuel seinen Kopf an den steifen Hemdkragen und marschierte seinem Onkel General nach ins Café.
Wie nötig ist die neue Wehrerziehung Deutschlands, dachte er. Da geht ein General über die Straße, und keiner beachtet ihn.
Er schämte sich sichtlich für seine deutschen Mitbürger.
*
Es dauerte bis Juli 1923, bis etwas geschah.
Militärisch gesehen. Privat und Zivil geschah allerlei. Amelia war wieder schwanger. In der ›Morgenröte‹-Margarine mußten doch allerhand Kalorien sitzen; wenn Heinrich Emanuel auch dem täglichen Leben gegenüber resignierte, in bestimmten, sehr privaten Bezirken zeigte er eine Forschheit, die an seine beste Zeit mit Jeanette erinnerte. Als Ehefrau hatte sich Amelia nicht zu beklagen, als Offiziersfrau begann sie, Heinrich Emanuel zu bedauern. Sie sah, daß er dies gern mochte. Sie kaufte ihm die ersten erschienenen Kriegsromane und ließ sich daraus vorlesen. »Da war ich auch«, sagte dann Schütze voll Begeisterung. »Amelia. Das war eine Zeit. Mit blanker Waffe und dem Hurra auf den Lippen stürmten wir die Stellungen. Unsere Bajonette blitzten in der Sonne, und unsere Herzen flogen uns voraus und eroberten den Graben, bevor unsere Leiber ihn füllten …«
»Du solltest auch ein Buch schreiben«, sagte sie dann sanft und stopfte weiter an Strümpfen oder Unterhosen. »Du hast eine wunderbare plastische Sprache.«
Dieser Gedanke Amelias setzte sich in Schützes Hirn fest. Er begann, ein Buch zu entwerfen. Keinen Roman, einen Tatsachenbericht. Es sollte eine wehrkritische Schrift werden. Die Geburt des Titels dauerte vier Wochen, dann hatte ihn Heinrich Emanuel. Stolz las er ihn Amelia vor. Er stand mitten in der Küche, auf dem Tisch dampfte eine Schüssel Bratkartoffeln. Dazu gab es gebratene Blutwurst.
»Hör zu, Liebes«, rief Schütze und hielt ein Blatt Papier über den Bratkartoffeldampf. Sein Gesicht glänzte. Es war innerlich vom Glück erleuchtet wie ein St.-Martins-Lampion. »Der Titel ist fertig: ›Das Deutsche Heer als Träger der Staatsidee. – Eine Studie über die Notwendigkeit schlagkräftiger Truppen. Von Hauptmann Heinrich Emanuel Schütze.‹« Er sah zu Amelia hinüber, die auf seinem Teller einen Berg Bratkartoffeln häufte. Die Blutwurst in der Pfanne roch lecker. »Was sagst du dazu?«
Amelia hob die Schultern. Ihr spitz gewordener Leib stieß gegen die Tischkante. In einer Woche mußte es soweit sein. Sie wünschte sich mit aller Inbrunst ein Mädchen.
»Wer soll das lesen?«
»Jeder aufrechte Deutsche.«
»Und du glaubst, das druckt einer ab?«
»Wenn es noch Ehre in Deutschland gibt … aber sicher! Ich werde in diesem Buch beweisen, daß von Arminius, dem Cherusker, bis zu Hindenburg die Garanten völkischer Größe immer die Soldaten waren.«
»Bringst du auch eine Statistik über die Toten von Arminius bis Hindenburg?«
Heinrich Emanuel steckte das Blatt Papier in seine Rocktasche und setzte sich an den Tisch. Er schob den Teller mit gebratener Blutwurst und Bratkartoffeln zu sich heran und begann, stumm zu essen. Erst nach einigen Minuten sah er auf und musterte Amelia verstimmt.
»Dir fehlt eben der staatsmännische Blick«, sagte er.
»Eben –«, antwortete sie.
»Du bist eben nur eine Frau.«
»Dafür danke ich Gott zu jeder Stunde …«
»Ich freue mich schon auf den dritten Jungen«, sagte Heinrich Emanuel, nur um sie zu ärgern. Sie lächelte böse.
»Es wird ein Mädchen …«
»Ein Junge. Du siehst zu gut aus. Bei Mädchen bekommt man gelbe Flecken im Gesicht, – habe ich mir sagen lassen.«
»Ich habe sie überpudert.«
Er hielt sich gewaltsam zurück, dies zu kontrollieren. Möglich war es. Er wollte es in der Nacht feststellen.
»Den Jungen nenne ich Arminius«, sagte er und schob den leergegessenen Teller weg.
»Es wird ein Mädchen –«
Und es wurde ein Mädchen. Am 23. Juni 1923 kam es in der Frauenklinik in Köln-Lindenthal zur Welt. Heinrich Emanuel
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