Mansfield Park
auszudrücken.
«Es muß Ihr Lieblingsstück sein», sagte er.
«Sie lesen es, als ob Sie es beinahe auswendig wüßten.» «Es wird von dieser Stunde an mein Lieblingsstück sein»,
erwiderte Crawford, «aber ich glaube, ich habe keinen Band Shakespeare in der Hand gehabt, seit ich fünfzehn Jahre alt war. Heinrich den Achten habe ich einmal auf der Bühne gesehen – oder jemand, der das Stück gesehen hatte, hat mir davon erzählt
– ich weiß es nicht mehr. Aber Shakespeare lernt man kennen, ohne recht zu wissen wie. Er liegt jedem Engländer im Blut. Seine Gedanken, die Schönheiten seiner Dichtung, sind so allgemein verbreitet, daß man überall auf sie stößt, man besitzt sie instinktiv. Kein halbwegs denkender Mensch kann eines seiner Stücke aufschlagen, ohne sofort seinen Sinn zu erfassen.»
«Freilich, in einem gewissen Grad ist Shakespeare uns von Kindheit an vertraut», sagte Edmund. «Seine geflügelten Worte werden von jedermann zitiert. Wir finden sie in jedem zweiten Buch, das wir zur Hand nehmen, und wir alle reden wie Shakespeare, bedienen uns seiner Gleichnisse und verwenden seine Beschreibungen. Aber das ist ganz etwas anderes als die tiefe Bedeutung, die Sie seinen Worten verliehen haben. Ein paar Bruchstücke von ihm zu kennen, gehört zur allgemeinen Bildung, und es gibt wahrscheinlich viele Menschen, die ihn halbwegs gründlich gelesen haben; aber seinen Text so wiederzugeben, wie Sie es eben getan haben – das ist bestimmt kein alltägliches Talent.»
«Sir, ich fühle mich geehrt», erwiderte Crawford mit einer scherzhaft feierlichen Verbeugung.
Beide Herren warfen unwillkürlich einen Blick auf Fanny, ob ihr nicht ein Wort des Lobes zu entreißen wäre, aber beide wußten, daß es nicht sein konnte. Ihre Aufmerksamkeit war ihr höchstes Lob gewesen, und damit mußten sie sich zufriedengeben.
Hingegen verlieh Lady Bertram ihrer Bewunderung geradezu energisch Ausdruck. «Es war wirklich wie im Theater», sagte sie. «Ich wollte, Sir Thomas wäre dabeigewesen.»
Crawford war hocherfreut. Wenn schon Lady Bertram bei all ihrer Geistlosigkeit und Gleichgültigkeit so beeindruckt war, mußte die Wirkung auf ihre Nichte, die soviel Verständnis und literarischen Geschmack besaß, überaus zufriedenstellend sein.
«Sie haben bestimmt Talent zum Schauspieler, Mr. Crawford», ließ Lady Bertram sich wieder vernehmen. «Wissen Sie was? Ich glaube, daß Sie sich einmal in Ihrem Haus in Norfolk ein Theater einrichten werden – ich meine, wenn Sie sich dort endgültig niederlassen. Ja, das glaube ich wirklich. Sie werden sich in Ihrem Haus ein Theater einrichten.»
«Das glauben Sie, gnädige Frau?» rief Crawford rasch. «Nein, nein, ganz bestimmt nicht! Ihre Ladyship irrt. In Everingham wird es kein Theater geben – o nein!» Und er blickte Fanny mit einem ausdrucksvollen Lächeln an, das deutlich besagte: «Diese Dame wird niemals ein Theater in Everingham dulden.»
Edmund sah das alles und sah auch Fanny so ingrimmig entschlossen, es nicht zu sehen, daß dies allein dafür zeugte, wie gut sie den tieferen Sinn seines Ausrufs verstanden hatte – und ein so rasches Erfassen des Kompliments, ein so feines Verständnis für die Anspielung, schien ihm eher ein günstiges Zeichen zu sein.
Inzwischen sprach man weiter über das Vorlesen im allgemeinen. Die beiden jungen Männer waren die einzigen Redner, aber vor dem Feuer stehend unterhielten sie sich lebhaft über die bedauerliche Vernachlässigung dieser Kunst, die zum Beispiel im Lehrplan der normalen Knabenschulen überhaupt nicht berücksichtigt würde, und die daraus ganz natürlich folgende, aber manchmal beinahe unnatürliche Ignoranz und Ungewandtheit ansonsten kluger und wohlunterrichteter Männer, die sich unversehens genötigt sahen, irgendeinen Text vorzulesen. Beide wußten aus eigener Erfahrung von solchen Fällen zu berichten und Fehler und Mißverständnisse zu zitieren, die auf schlechte Stimmtechnik, falsches Pathos, unrichtige Aussprache und Betonung sowie einen allgemeinen Mangel an Verständnis und Übersicht zurückzuführen waren, aber alle einer einzigen Ursache, dem Fehlen früher Anleitung und Gewohnheit, entsprangen; und Fanny hörte wieder mit großem Interesse zu.
«Sogar in meinem Beruf», sagte Edmund lächelnd, «wird die Kunst des Lesens viel zu wenig studiert. Wie selten bemüht man sich um klare Wiedergabe und eindrucksvollen Vortrag der heiligen Texte! Allerdings gilt das eher für die Vergangenheit als für
Weitere Kostenlose Bücher