Mansfield Park
eine Probe. William brüllte alsbald vom zweiten Stock herunter nach seiner Mutter und nach Rebecca. Er suchte verzweifelt nach etwas, was er bestimmt in seinem Zimmer gelassen hatte und jetzt nicht finden konnte. Ein Schlüssel war verlegt, Betsey wurde beschuldigt, seinen neuen Hut angefaßt zu haben, und eine kleine, aber unerläßliche Änderung an seiner Uniformweste, die auszuführen man versprochen hatte, war in Vergessenheit geraten.
Mrs. Price, Rebecca und Betsey eilten zu ihm hinauf, um sich zu verteidigen, wobei sie alle auf einmal sprachen, Rebecca am lautesten; und die Arbeit wurde, so gut es ging, in höchster Eile ausgeführt. William versuchte vergeblich, Betsey hinunterzuschicken oder sie wenigstens davon abzuhalten, oben allen lästig zu fallen. Da ziemlich jede Tür im Haus offenstand, war im Salon alles deutlich zu hören, wenn es nicht gerade in dem gewaltigeren Lärm unterging, den Sam, Tom und Charles vollführten, die einander die Treppen hinauf und hinunter jagten und unter großem Hallo übereinanderpurzelten.
Fanny war ganz betäubt. In dem engen Haus mit den dünnen Wänden gab es keine Rettung vor dem Getöse, und nach der ermüdenden Fahrt und der Aufregung der letzten Stunden glaubte sie, es kaum auszuhalten. Drinnen im Zimmer war es still genug, denn Susan war gleichzeitig mit den anderen verschwunden, und sie blieb mit ihrem Vater allein. Er holte die Zeitung hervor, die er von einem Nachbarn auszuleihen pflegte, und vertiefte sich darein, ohne weiter ihrer Existenz zu gedenken. Die einsame Kerze stellte er, ohne jede Rücksicht auf Fannys Bequemlichkeit, zwischen sich und die Zeitung. Doch sie hatte ja nichts zu tun und war froh, daß ihr schmerzender Kopf vom Licht abgeschirmt war, während sie sich verwirrt und traurig ihren zusammenhanglosen Gedanken überließ.
Nun war sie daheim. Aber ach – es war kein solches Heim, kein solcher Willkomm wie … Doch sie schalt sich selbst unvernünftig. Hatte sie Anspruch darauf, ihrer Familie wichtig zu erscheinen? Nein, dazu war sie zu lange fortgewesen. Williams Sorgen waren wichtiger – waren es immer gewesen – seine Ansprüche gingen vor. Aber daß man sich so wenig um sie gekümmert, so geringes Interesse bekundet, kaum nach Mansfield gefragt hatte! Es schmerzte sie vor allem, Mansfield vollkommen vergessen zu sehen. Die Verwandten, die soviel getan … die lieben, guten Verwandten! Doch hier verschlang ein einziges Interesse alles andere – es mußte wohl so sein. Die Bestimmung der «Thrush» war jetzt von überragender Wichtigkeit. In ein, zwei Tagen würde vielleicht alles ein anderes Gesicht haben. Sie allein war zu tadeln … Und doch – in Mansfield wäre es anders gewesen. Nein, im Hause ihres Onkels hätte man Tag und Stunde in Betracht gezogen, alles wäre pünktlich zu seiner Zeit getan worden, es hätte Ordnung geherrscht, Rücksicht und Aufmerksamkeit für jedermann … Von alldem war hier nichts zu finden …
Die einzige Unterbrechung, die sie im Verlauf einer halben Stunde von solchen und ähnlichen Betrachtungen ablenkte, bestand in einem plötzlichen Ausbruch ihres Vaters, der nicht dazu angetan war, sie zu beruhigen. Als das Johlen und Poltern im Gang eine außergewöhnliche Lautstärke erreichte, schrie er los: «Zum Teufel mit den jungen Hunden! Aha, Sam brüllt wieder einmal am lautesten. Der Junge ist zum Bootsmann geboren. Holla – he, da draußen! Sam, Schluß mit dem verdammten Radau, sonst kriegst du’s mit mir zu tun!»
Die Drohung wurde ganz offenkundig mißachtet, und auch als die drei Jungen fünf Minuten später alle durcheinander ins Zimmer stürmten und sich hinsetzten, konnte Fanny daraus nur schließen, daß sie sich für den Augenblick müde getobt hatten, was ihre glühenden Gesichter und keuchenden Atemzüge zu bestätigen schienen – besonders, da sie einander noch immer mit Fußstößen traktierten und vor der Nase ihres Vaters ab und zu in lautes Gebrüll ausbrachen.
Als die Tür sich das nächstemal öffnete, war es aus einem erfreulicheren Anlaß: der Tee war im Anzug, was Fanny an diesem Abend kaum mehr zu erleben gehofft hatte. Alles, was dazu gehörte, wurde von Susan und einer kleinen Dienstmagd hereingebracht, deren verlottertes Aussehen Fanny zu ihrer großen Überraschung klarmachte, daß sie in Rebecca bereits den höheren dienstbaren Geist kennengelernt hatte. Während Susan den Kessel aufs Feuer stellte und ihrer Schwester einen verstohlenen Blick zuwarf, schien es, als
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