Mansfield Park
daran erquicken konnte. Ihr Feingefühl bewog sie, ihren Eltern gegenüber diese Vorliebe für das Haus ihres Onkels nicht zu verraten. Sie achtete dann sorgfältig darauf, zu sagen: «Wenn ich nach Northamptonshire zurückfahre …» oder: «Wenn ich wieder in Mansfield bin …» Das ging eine lange Weile so. Doch ihre Sehnsucht wurde immer größer, sie ließ sie alle Vorsicht vergessen, und eines Tages ertappte sie sich dabei, daß sie davon sprach, was sie «zu Hause» tun würde … Sie zürnte sich deswegen, wurde ganz rot und warf ihren Eltern einen angstvollen Blick zu. Sie hätte sich keine Sorge machen müssen. Kein Anzeichen verriet, daß die Eltern sich gekränkt fühlten, ja, daß sie es nur bemerkt hätten. Eifersucht auf Mansfield lag ihnen gänzlich fern, und es stand ihr ebenso frei, sich hinzuwünschen wie hinzufahren.
Es war traurig für Fanny, um alle Freuden des Frühlings zu kommen. Bisher hatte sie nicht gewußt, um welchen Genuß der Aufenthalt in der Stadt sie im März und April bringen würde. Sie hatte nicht gewußt, wie sehr es sie beglückte, dem Knospen und Sprießen der Natur zuzusehen, wie es sie körperlich und seelisch erfrischte, den Fortschritt der Jahreszeit zu beobachten, die all ihrer Launenhaftigkeit zum Trotz nicht anders als lieblich sein kann, und zuzusehen, wie sie ihre Schönheiten entfaltete, angefangen von den ersten schüchternen Blümchen an den geschütztesten Plätzchen im Garten ihrer Tante und dem ersten jungen Laub in den Anlagen ihres Onkels bis zur vollen Pracht seiner Wälder. – Es war nichts Geringes, auf diese Freuden verzichten zu müssen, und unvergleichlich schlimmer war es, darauf verzichten zu müssen, weil sie von Mauern und Stadtlärm umgeben war; anstelle von Freiheit, Frische, Duft und jungem Grün traten hier enge Gassen, schlechte Luft und übler Geruch. Doch selbst diese Entbehrungen waren nicht so schwer zu ertragen wie der Gedanke, daß sie von ihren liebsten Menschen vermißt wurde, und die Sehnsucht, sich dort nützlich zu machen, wo sie gebraucht wurde!
Ja, «zu Hause» hätte sie sich jedem einzelnen Menschen nützlich machen können! Davon war sie überzeugt. Sie hätte jedem irgendeine geistige oder körperliche Anstrengung abgenommen, und wäre es nur, indem sie ihre Tante Bertram bei guter Stimmung erhielt und sie vor dem Übel der Einsamkeit bewahrte – oder dem noch größeren Übel einer unruhigen, aufdringlich geschäftigen Gesellschafterin, die nur zu gern die Gefahr schwärzer malte, um ihre eigene Wichtigkeit hervorzuheben. Ja, ihre Anwesenheit in Mansfield hätte allen gutgetan. Sie malte sich gern aus, wie sie ihrer Tante vorlesen, wie sie mit ihr plaudern, wie sie versuchen könnte, ihr das Gute des gegenwärtigen Zustandes zu Bewußtsein zu bringen und sie schonend auf künftige Veränderungen vorzubereiten. Und wie viele Treppen hätte sie ihr erspart, wie viele Botschaften für sie besorgt!
Sie wunderte sich, daß Toms Schwestern es unter diesen Umständen über sich brachten, ruhig in London zu bleiben – jetzt, da die Krankheit ihres Bruders sich in mehr oder weniger gefährlicher Form schon wochenlang hinzog. Dabei konnten sie doch nach Mansfield heimkehren, wann sie Lust hatten, für sie bot die Reise keine Schwierigkeiten. Fanny verstand einfach nicht, daß sie beide fernblieben. Selbst wenn Mrs. Rushworth sich einbilden mochte, daß andere Pflichten sie in London zurückhielten, war es doch jedenfalls Julia möglich, jederzeit heimzureisen. Aus einem Brief der Tante ging hervor, daß Julia sich erbötig gemacht hatte, zu kommen, falls man sie brauchte – doch das war alles. Augenscheinlich blieb sie lieber dort, wo sie war.
Fanny begann zu denken, daß der Einfluß Londons sich auf jede achtbare menschliche Bindung schädlich auswirkte. Den Beweis dafür sah sie im Verhalten ihrer Cousinen wie auch Miss Crawfords. Ihre Beziehung zu Edmund war achtbar gewesen, das Achtbarste an ihrem ganzen Charakter, ihre Freundschaft für Fanny zumindest ohne Fehl und Tadel. Was war aus diesen Gefühlen geworden? Fanny hatte nun so lange keinen Brief von ihr bekommen, daß sie allen Grund hatte, nicht viel von der Freundschaft zu halten, von der man so viele Worte gemacht hatte. – Seit Wochen hatte sie von Miss Crawford und ihren anderen Bekannten in London nichts gehört, außer indirekt über Mansfield, und sie glaubte allmählich, sie würde bis zu ihrer nächsten persönlichen Begegnung niemals erfahren, ob Mr. Crawford
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