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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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würde die Flut zu stark anschwellen und sie mit sich reißen.
    Natalie war ehrlich erstaunt, als zehn Minuten verstrichen, ohne dass jemand zu ihr kam. Sie wälzte sich vorsichtig wieder herum und sah sich als kränkelnden, in Selbstenttäuschung suhlenden Schwachkopf, dann rief sie sich mit merkwürdigem schwarzem Humor zu Gedächtnis, dass sie beinahe dreißig sei. Medikation, kognitive Verhaltenstherapie und langweilige Nachmittage vor dem Fernseher, auf dem immer nur erhebende, pädagogisch wertvolle Sendungen liefen, die eigens darauf zugeschnitten waren, Menschen mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne anzusprechen, lagen Jahre in der Vergangenheit. Schlaglichtartig holten sie die Ereignisse der letzten Stunden wieder ein, und sie öffnete die Augen und lachte leise vor Erleichterung und Verzweiflung zugleich.
    Es war einfach unmöglich. Wie Judes Aktendeckel mit ihrer Schrift darauf. Bobby X konnte schlichtweg nicht durch sie hindurchmarschiert sein.
    Das war ihr erster Gedanke. Der zweite Gedanke besagte, dass man sie nun gewiss erneut mental sezieren und umgehend ins McKillick zurückschicken würde. Sie hörte auf zu lachen und zog sich die Bettdecke bis ans Kinn. Vielleicht hatte sie alles nur geträumt. Vielleicht, sagte die finstere Stimme in ihrem Kopf, war sie immer noch im McKillick und hatte es nie verlassen.
    »Natalie, ich meine, Dr. Armstrong!«, rief Charlton und eilte herbei. »Sie sind wach!«
    »Ja.« Natalies Mund fühlte sich belegt und störrisch an, als wollte er nicht funktionieren.
    »Kann ich etwas zu trinken haben? Und wie spät ist es?« Und um zu sehen, ob ihr Verdacht zutraf, fragte sie: »Bobby! Wo ist er? Was ist passiert?«
    »Es ist kurz vor sechs«, sagte Charlton und goss ihr aus der Karaffe, die im Kühler am Bett stand, einen Becher Wasser ein. Natalie bemerkte erst jetzt, dass Charlton statt der üblichen Schwesterntracht einen Quarantäneanzug trug. Ihre Stimme wurde von einer Atemmaske gedämpft.
    Charlton reichte ihr das Wasser und sagte kein Wort, bis Natalie einen Schluck getrunken hatte. »Niemand weiß, wo Bobby steckt. Machen Sie sich deswegen erst mal keine Gedanken. Ich muss Ihren Vater anrufen und ihm sagen, dass Sie wach sind.«
    Natalie schaute sich nach ihrer Kleidung um. Sie zog sich hoch und stöhnte, als sie unvermittelt ins Licht blickte. Sechs Uhr? Sie fasste Charlton beim Arm und erwischte nur deshalb eine Hand voll loses Anzugmaterial, weil sie sich mit einem beinahe fatalen Satz aus dem Bett nach vorn warf.
    »Wie viel Uhr haben Sie gesagt?«
    »Sechs Uhr. Abends.« Charlton schien es plötzlich unpassend zu finden, Normalität vorzutäuschen, und erschlaffte aus ihrer steifen Pose. »Sie haben vierzehn Stunden lang geschlafen.«
    »Augenblick mal.« Mit jeder Sekunde wurde Natalie klarer im Kopf. Sie blickte sich um und sah dann wieder Charlton an. »Wo bin ich hier?« Die Frage war an sich überflüssig, doch sie brauchte die Antwort, um ihre Zweifel endgültig zur Ruhe zu betten.
    »Q-1«, antwortete Charlton voller Unbehagen. »Man hat Sie hierher verlegt, weil Sie nicht aufgewacht sind. Dr. Armstrong – Ihr Vater – glaubt, dass irgendetwas aus dem Versuch mit Bobby Sie befallen haben könnte.« Sie blickte zur Seite, links an Natalie vorbei und auf den Boden – sie suchte nach einer bequemen Lüge. »Es gab viel … na, das wird er Ihnen selbst erzählen.«
    Natalie setzte sich auf die Kante des hohen Bettgestells und stellte die Füße auf den Boden. »Was ist hier passiert? Wie ist es möglich, dass Bobby noch immer vermisst wird?«
    »Nur die Ruhe«, sagte Charlton ohne Überzeugung. Sie wich aus Natalies Reichweite zurück. »Ich hole ihn.« Rasch schlüpfte sie durch die Tür, die sich mit einem Zischen der Luft im Schleusensystem schloss. Die Quarantäneräume hatten innen keinen Handgriff. Aus der gegenüberliegenden Ecke beobachtete die kleine Linse einer Kamera, wie Natalie aufstand und vergeblich nach anderen Kleidungsstücken suchte.
    Plötzlich empfand Natalie etwas sehr Eigenartiges im Kopf, als sammelten sich dort Gedanken wie ein Schwarm Bienen, ein großer Schwarm, in das süße, klebrige Licht der Herbstsonne getaucht. Sie öffnete den Mund, um anzusprechen, wer immer sie beobachtete, doch das Summen und der Druck rissen ihr sämtliche Worte von den Lippen, aus den Gedanken.
    Verdammt, dachte sie. Geht das wieder los. Und ich dachte, ich hätte es hinter mir.
    Natalie spürte, wie sie sich änderte – wie sie verändert wurde. Sie

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