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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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er es geplant hatte. Er konnte nun lediglich warten und hoffen, dass die wenigen Karten, die er nach wie vor in der Hand hatte, noch geheim blieben. Mit dem Tod von Tetsuo Yamamoto hatte er sich vielleicht ein paar Wochen erkauft, vielleicht aber auch nicht. Man konnte nicht wissen, was sich in den Angelegenheiten der Lebenden tat.
    Er äußerte die eine oder andere Entschuldigung und zog sich in seine Räume zurück. Dort schenkte er sich ein Glas Scotch ein und starrte in ein simuliertes Fenster, das sich auf die raue sibirische Steppe öffnete. Beim Anblick des windgepeitschten Eises war er froh, nicht im Freien zu sein. Noch.
     
    Ian Detteridge schwamm in Ozeanen der Veränderung. Ein Ort ohne Namen, ein Spiel, aber kein Zeitvertreib, ein Zufall aus einem Feld der Zufälle, die an der Oberfläche seines Bewusstseins tanzten. Namenlose Orte passierten ihn auf ihrem Weg zu jemand anderem.
    Sein Bewusstsein flackerte teilnahmslos zwischen Existenz und Nichtexistenz hin und her. Er hatte damit gerechnet, dass es passierte, doch das war ihm nun, da es so war, kein Trost. Es würde und es hatte, es könnte und es hatte, es mochte … welches Wort zerrte es wohl zurück in seine Zukunft?
    Wie ein Albatross, der auf dem Wind der Welt segelt, folgte er Natalie Armstrong; getreu seinem Versprechen hielt er Kontakt, unter ihr, über ihr, in ihr und zwischen ihr.
    Er versuchte eine Willensanstrengung heraufzubeschwören.
    Die Kette seiner Versuche erstreckte sich weit in alle Richtungen, und er befand sich in der Schwerelosigkeit des Mittelpunkts, wie ein Schiff in einer Flaute. Er bahnte sich seinen Weg, unsicher wie ein Kind in der Dunkelheit.
    Er beschloss hinauszugreifen.
    Er griff in das Zähe, Raue, Feste, das Dichte, Lockere, Leichte, die harte starre Form.
    Er trat in einen Gefangenenbus mit bemerkenswert leisem Motor, in dem es sich fast erschütterungsfrei fuhr, wie auf Schienen. Die Wände waren grau und mit Schnallen und Schellen und Halteklammern aller Art ausgestattet. Auf einem weichen Sessel, mit einem am Fußboden des Wagens verankerten Gurtsystem gefesselt, saß Natalie Armstrong einer Königin gleich, das flammendrote Haar in wilder Unordnung, die Jacke zerknittert, die Lederhose durchgescheuert, die derben Stiefel auf den Boden gestemmt. Mit ihren langen Fingern trommelte sie auf die Sitzlehnen, einen Mambo auf die rechte und einen Marsch auf die linke.
    »Bobby«, sagte sie und schenkte ihm ein Lächeln, bei dem er sich plötzlich wohl fühlte. »Ich meine, Ian. Gott sei Dank. Sie müssen mir aus diesem Ding raushelfen, bevor wir ankommen, wohin immer wir fahren.«
    Er bemerkte augenblicklich, dass sich das NP-System in ihr ausgebreitet hatte. Sie war fast abgeschlossen, doch sie hatte es geschafft, den Prozess genau vor dem Punkt aufzuhalten, wo das NervePath sich die Regeln selber schuf, nach denen es sich veränderte, und frei wurde. Die Folgen seines Tuns entwickelten sich in aller Subtilität noch immer, und sie war nun beinahe wie er. Fast, aber noch nicht weit genug, um die Gestalt zu ändern.
    Ian blickte in die Struktur der Buswände und fasste in die Lücken. Seine Finger tasteten sich zwischen die Domänengrenzen der Metallkristalle vor und trennten an diesen Verwerfungslinien die Gitter, sodass er einen ganzen Kreis aus der Wand nehmen und auf den Boden stellen konnte. Als er sich umdrehte, betrachtete ihn Natalie. Auf ihrem Gesicht stand Furcht, doch auch ein Lächeln weilte dort. Er nickte, und gemeinsam blickten sie ein paar Sekunden lang hinaus, das Gesicht im Fahrtwind.
    Sie fuhren nicht allzu schnell. Draußen sahen sie alte Industrieanlagen, einige aufgegeben und zerfallend, andere noch gerade eben in Betrieb gehalten. Niemand sah sie, und sie entdeckten kein Begleitfahrzeug der Polizei. Wozu die Öffentlichkeit beunruhigen, dachte Ian, und wahrscheinlich halten sie eine Flucht aus dem Wagen für unmöglich.
    »Können Sie springen?« Er schaute Natalie an, die auf das vorüberhuschende Straßenpflaster blickte. Flüchtig empfand er Sorge, als könnte er sich beim Aufprall auf den Boden bei hoher Geschwindigkeit verletzen, doch dann begriff er, dass er Natalies Furcht spürte, nicht seine eigene.
    »Ja«, sagte sie selbstsicher. »Aber lassen Sie uns hinten aussteigen, damit sie uns nicht gleich sehen. Mit etwas Glück können wir uns verstecken, bevor sie wissen, dass ich fort bin.«
    »Okay.« Ian setzte das Wandstück wieder ein und richtete es sorgfältig aus, bis selbst der

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