Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
Vom Netzwerk:
Selbsttäuschungen zu einem Flickwerk aus Märchen zusammengenähten Wissensfetzen bestand … Er hätte geweint, hätte er noch die Organe besessen, die dazu nötig waren. Ein kleines, planetengebundenes organisches Wesen in einer weiten, weiten … auch dafür gab es keine Wörter. Wäre er ein Dichter gewesen, hätte er vielleicht eine Möglichkeit gefunden, es auszudrücken, doch seine Umwandlung hatte ihm nur Erkenntnis geschenkt, aber kein Talent.
    Wörter. Er wünschte, aus direkten Erfahrungen würden Wörter, doch sein Wunsch bewirkte nichts. Immerhin hatte er Mary etwas gegeben, worüber sie den Tag lang nachdenken konnte. Der Verstand bezog Informationen aus weit mehr Dingen als nur Wörtern, und alle Wege waren nützlich.
    Er zeigte ihr das Universum.
     
    Natalie fand es höchst erleichternd, dass ihr während der Stunden, die sie zuerst in einem Militärfahrzeug und dann im Zellentrakt der Basis sitzen musste, alle Entscheidungen aus der Hand genommen waren. Ringsum taten uniformierte Offiziere ihre Pflicht, und sie schloss sich ihnen an. Seit sie sich der Polizei gestellt hatte, kam es ihr vor, als habe sie Urlaub vom Stress genommen. Das einzig Schlimme daran waren die Augenblicke gewesen, in denen sie sich womöglich zum letzten Mal von Jude verabschiedet hatte, auf dem Bahnsteig stand und ihm hinterherblickte, während er, hochgewachsen und kräftig, in ein Leben davonging, das nun auf Messers Schneide stand.
    Um ihr Leben war es wohl kaum besser bestellt, doch sie fühlte sich eher in der Lage, damit umzugehen. Das alte Pad in ihrer Tasche war programmiert, über abgeschirmte Kanäle und einer Reihe treuer, vertrauenswürdiger Datapilots verschlüsselte Nachrichten mit Judes Gerät auszutauschen. Doch wasserfest war dieser Plan nicht, und vielleicht hätte er die Untersuchung durch die Spezialisten der Armee nicht überstanden, als sie ihr Pad unter die Lupe nahmen. »Schick mir deine Gedanken«, hatte sie gesagt, »und ich weiß Bescheid.« Halb im Scherz.
    »Mach ich.« Ihm war es ernst gewesen.
    Natalie konnte nicht sagen, ob es wirklich möglich war, doch als sie in ihrer Zelle saß und auf das als Spiegel getarnte Fenster blickte, wusste sie, dass drei neugierige Offiziere sie durch dieses Fenster beobachteten, von denen einer über sie informiert war und zwei nicht.
    Natalie nutzte die Zeit, um sich auszuruhen und über diesen eigenartigen Umstand nachzudenken.
    Dreißig Minuten nach ihrer Ankunft wurde sie gestört, als die Tür sich öffnete.
    Michail Guskow trat in den Raum, von einem Adjutanten begleitet.
    Von Angesicht zu Angesicht wirkte er breitschultriger und kraftvoller als auf dem Bildschirm. Natalie war augenblicklich beeindruckt von seiner physischen Gegenwart und seiner Energie, die sich in seinem dichten, grau melierten Bart und dem durchdringenden, offenen Blick äußerten. Er reichte ihr die Hand.
    »Doktor Armstrong.«
    »Professor«, sagte sie, und sie schüttelten sich die Hände. Es war sehr schwierig, ihn einzuschätzen. Die Kraft, mit der er jene Persönlichkeit ausstrahlte, die er sein wollte, war so stark, dass Natalie sie als beinahe körperliche Abwehr ihres unwillkürlichen Versuchs empfand, sein wahres Ich zu erkennen.
    »Ich war bestürzt, als ich von den Vorfällen in York hörte«, sagte er. In der beengten Zelle klang seine Stimme laut und tief, als wäre es ihm gleich, wer ihn hörte. »Sind Sie wohlauf?«
    »Mir geht es gut.« Sie nickte und entzog ihre Hand seinem fürsorglichen Griff.
    Er ließ sich einen Scanner reichen, ein Gerät der Bauart, die sie kannte. »Gewiss macht es Ihnen nichts aus, wenn ich …«
    »Nur zu.« Sie zuckte die Achseln. »Wird nicht das letzte Mal sein.« Erheitert betrachtete sie sein Gesicht, das seine Unruhe und seinen Unglauben widerspiegelte, während er die Anzeigen ablas, obwohl er die entsprechenden Daten bereits von der Klinik erhalten haben musste.
    »Verzeihen Sie bitte«, sagte er, nachdem ein Augenblick verstrichen war. »Bis gerade hatte ich nicht an den tatsächlichen Maßstab glauben können.« Er schaltete das Gerät aus und gab es seinem Adjutanten zurück, ohne diesem einen Blick zu schenken; seine Aufmerksamkeit gehörte voll und ganz Natalie. »Wissen Sie, was mit dem anderen Mann geschehen ist? Mit Patient X?«
    »Ian Detteridge«, verbesserte sie ihn sanft. »Ja, das weiß ich.« Sie warf einen Blick auf die Spiegelwand, dann sah sie Guskow wieder an, der knapp nickte. Sein dichtes Haar bewegte sich dabei

Weitere Kostenlose Bücher