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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Fehlurteil kam, und doch bedeutete es die Urkraft, aus der die politische Aktivistin und leidenschaftliche Verfechterin einer eigenständigen indianischen Kultur hervorging, zu der Judes Halbschwester, White Horse Jordan, heranwuchs – was ein Grund dafür war, dass er das nunmehr abgebrannte Gebäude nie wieder betreten hatte. Schon vor langem, als es noch stand – ungefähr um die gleiche Zeit, als Martha Johnson ihren zweiten Laden in der Innenstadt eröffnete –, hatten sie sich ihre Ansichten gegenseitig an den Kopf geworfen.
    »Du bist zum Feind übergelaufen, verdammt!«, hatte White Horse ihn angeschrien, das Gesicht dunkel vor Wut. Sie stieß ihn von der Schwelle des Hauses auf den Weg zurück. »Wir haben nichts mehr gemein! Nichts! Geh zur reichen weißen Familie deiner Mutter und mach dir ein schönes Leben im Dienst des Staates, wenn du ihn sosehr liebst! Du verdienst es nicht, Dads Namen zu tragen!«
    Jude war zu wütend, um ihr zu antworten, doch sie sah ihm an, was er sagen wollte, und schnitt ihm mit einer ruckartigen Armbewegung das Wort ab.
    »Du verrätst uns! Du verrätst alles! Du spuckst auf uns und unsere Geschichte! Nur damit du reich wirst und die Macht bekommst, kleine Leute herumzuschubsen!«
    »Vergiss nicht, ich habe sie nie klein genannt.«
    »Scheißkerl! Verräter!«
    »Und was bist du? Der personifizierte Rückschritt! Eine faschistische Denkmalpflegerin! Du machst jeden klein, der hinter dir steht, denn du zwingst sie alle, auf schlechtem Land zu leben, in miesen Häusern und ohne Aussichten, obwohl sie mehr besitzen könnten als die Vergangenheit: Sie könnten Anteil an der Zukunft haben. Aber du musst ja ständig die Vergangenheit bejammern. Daran sehe ich, dass es keinen Sinn hat, sich aus Sentimentalität an das Alte zu klammern, als würde man noch immer in der beschissenen Steinzeit leben! Alles verändert sich! Und wo wir schon bei der Spiritualität sind – meinst du etwa, du hättest das Monopol darauf? Sie gehört doch nicht dir allein nur wegen deiner Hautfarbe, als wär’s eine Zehnerkarte. Meinst du wirklich, wir müssten uns nicht ändern?«
    Dieses eine Mal war es ihm gelungen, sie dazu zu bringen, dass sie mit zusammengebissenen Zähnen schwieg.
    Was er noch empfand, sprach er nicht aus. Er verschwieg, dass er nur deshalb das Marine Corps verlassen hatte und Special Sciences beigetreten war, weil es ihm als eine Chance erschien, wenigstens eins zu kitten, was zerbrochen war, nämlich alles in seiner Macht Stehende zu tun, um aus dem FBI eine bessere, bürgerfreundlichere Organisation zu machen. Als Ideal war dieser Beweggrund genauso töricht wie White Horses Vorstellungen, und wenn Jude davon gesprochen hätte, würde White Horse sich sofort darauf gestürzt und ihn verächtlich in der Luft zerrissen haben. Jude wusste nicht zu sagen, ob seine Überzeugung so tief reichte, dass er seinen Plan wirklich zu Ende führen konnte. Doch als White Horse wütend wurde, schob er seine Bedenken beiseite, ob eine einzelne Person, ein untergeordneter Beamter wie er, die große Politik tatsächlich beeinflussen könnte.
    Sie hatten einen letzten Blick gegenseitiger Abscheu getauscht und das Kinn in identischem Winkel vorgestreckt, dass sie wie Spiegelbilder wirkten, und dann war Jude unter den verwirrten Blicken der anderen auf der Straße – Jim Johnson und Marie vom Nachbargrundstück, Rising Wolf auf der anderen Straßenseite, der ahnungslos grinsend winkte, weil er nicht gehört hatte, was los war – ins Auto gestiegen, davongefahren und nie wieder zurückgekommen.
    Hatte er sich nur deswegen auf dieses Unternehmen eingelassen, um sich bei White Horse zu entschuldigen? Dann hätte er ihr nachgegeben, und das wollte er nicht. Also hatte er nicht nachgegeben. Wirklich nicht.
    Jude steckte sich das Foto wieder in die Tasche und trank sein Bier aus. Es war warm und schmeckte wie selbst gebraut, wie das Zeug, das White Horse und er einmal während der Sommerferien hergestellt hatten, weil sie es für cool hielten, Sam Adams nachzuahmen. Das Bier schmeckte Jude, und er holte sich noch eins. Eine Wolke zog vor der Sonne vorbei, und an den anderen Tischen schauerten die Touristen in ihren dünnen, pastellfarbenen Sachen, gekleidet für einen Sommer, der niemals richtig loslegen wollte. Jude zog sich die Jacke über und beobachtete, wie einige hübsche Mädchen und einige merkwürdige Hunde vorbeigingen – und mit der inneren Ruhe eines Ufertieres glitt er in das

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