Mappa Mundi
Zeitloch.
»Na, erzähl mir einfach noch mal, um was es geht.«
Ray Innis’ rötlich gelber Ponyschnitt glänzte unter dem trüben Licht im Hinterzimmer des King’s Arms wie das Haar eines Reitpferdes. Als er sich über den Tisch zu Dan vorbeugte, spannte sich seine Lederjacke knirschend über dem klotzigen Gegenstand, der nicht ganz unter seine Achselhöhle passte.
Dan musterte Ray voll Abneigung und versuchte, nicht an die Pistole zu denken. Rays stumpfes, teilnahmsloses Gesicht verbarg den ausbeuterischen, bedenkenlosen Eigennutz, für den er bekannt war, und Dan war nicht so dumm, sich den unangenehmeren Aspekten dieses Charaktermerkmals auszusetzen. Er sprach so leise, wie er konnte, und nahm einen Bierdeckel. Mit einem klecksenden Filzstift zeichnete er zur Ergänzung seiner Erklärung ein Diagramm.
»NervePath ist wie ein Computer. Hardware. NervePath setzt sich ins Nervensystem und ins Gehirn, ja? Woran wir arbeiten und was wir testen, ist wie die Software; NervePath braucht sie, um zu funktionieren. Wir werden sie Mappaware nennen.«
»Was soll das heißen?«
»Das ist Latein.« Dan hoffte, dass Ray nicht erkannte, dass er ihn für einen ungebildeten, unwissenden Barbarenbastard hielt, aber es ließ sich nur schwer sagen. Rays Verstand arbeitete wie ein billiger Organizer mit geringer Rechenleistung; was er momentan nicht verarbeiten konnte, speicherte er für später ab. Irgendwo in Rays Kopf befand sich ein Kassenbuch, in das Dans Soll und Haben ganz genau eingetragen war, und Dan bekam allmählich das Gefühl, er stehe tief in den roten Zahlen.
»Und du glaubst, der Kram hebt bald ab?« Ray steckte sich den Bierdeckel ein, ohne einen Blick darauf geworfen zu haben, denn er nahm seine blassblauen Augen nicht von Dan.
»Ich weiß es nicht. Wie ich schon sagte. Eine Weile wird es noch dauern.«
»Und es hat Potenzial, sich kreativ vermarkten zu lassen? Kannst du selber ein bisschen dafür schreiben? Träume, Fantasien …«
»Verflucht noch mal, es geht nicht um Pornos!«, fauchte Dan ihn an, ohne sich zügeln zu können. Er blickte sich rasch um, doch niemand schien auf sie zu achten. Sie alle kannten Ray und seine Geschäfte.
Rays Blick blieb unerbittlich.
Dan fuhr fort: »NervePath würde dich aufmuntern, wenn es dir dreckig geht. Es würde dich zufrieden machen mit deinem Job. Würde dafür sorgen, dass du besser … was weiß ich … besser tippen kannst und so was.« Auf das, was Ray als Nächstes tat, war er nicht vorbereitet. Er hatte gehofft, Ray so lange hinhalten zu können, bis seine Schulden bei ihm abgetragen wären und dann aus dem Vereinten Königreich zu verschwinden, bevor Ray kapierte, welches Potenzial Gedankenkontrolle auf dem schwarzen Markt besaß.
Ray zog einen braunen Umschlag aus der Tasche und steckte ihn Dan zu.
»Was soll …«, begann Dan. Er wollte keinen Gefallen von Ray annehmen.
»Ein Vorschuss«, sagte Ray. Herausfordernd ließ er die Hand auf dem Umschlag, den er Dan in die Tasche geschoben hatte. Sein billiger Haarlack glänzte wie neue Pennymünzen. »Ich muss ja dafür sorgen, dass du auf meiner Seite bleibst. Ich muss die Dinge geschäftsmäßig angehen, Alter. Hier hast du ein paar Zinsen, und wo die herkommen, da gibt es noch mehr. Dafür brauchst du mich bloß auf dem Laufenden zu halten. Noch fairer geht’s wohl nicht, oder? Und was du mir schuldest, darüber reden wir nicht mehr.«
Ray wollte also erheblich mehr von ihm, oder genauer, er würde es verlangen, wenn es so weit war. Für einen kleinen Dealer hatte er große Rosinen im Kopf. Dan öffnete den Mund, um einen Einwand zu erheben, schwieg dann aber.
»Weißt du, was dein Problem ist, alter Dan? Du redest zu viel.« Ray erhob sich und legte einen Fünfer auf den Tisch, damit Dan sich noch etwas zu trinken kaufen konnte. Wie totes Laub lag der Geldschein auf dem Tisch.
Aus seiner Höhe von einem Meter achtundneunzig blickte Ray auf Dan herab, und der fühlte sich, als wäre er fünf Jahre alt – so klein, naiv und schwach. Ray brauchte kein Wort mehr zu sagen, Dan wusste schon alles. Doch Ray lief heute, wie er es ausgedrückt hätte, der Mund über. Noch einige Sekunden lang hielt er Blickkontakt zu Dan. Er grinste, als er sich zu ihm niederbeugte und ihm mit seinem Atem, der so süß und rein roch wie der eines Babys, ins Ohr flüsterte: »Am Ende ist alles Porno, Süßer. Alles.«
Dan wartete, bis er sicher sein konnte, dass Ray lange fort war, dann stand er auf. Ihm war
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