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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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schlecht. Er ging auf die Herrentoilette, schloss sich in eine Kabine ein und blickte in den Umschlag. Fünftausend in gebrauchten Scheinen und verschnittenes Heroin im Wert von weiteren tausend: pures Gold.
    Dan drehte sich der Magen um. Ray wollte wirklich der nächste Schwarzmarktbaron werden, und Dan war sein designierter Hofnarr. Wie lange war es nun schon her, dass er sich verplappert und Rays Teilhaber Ed gegenüber NervePath erwähnt hatte? Warum konnte er nicht die Klappe halten? Vielleicht, weil er ein bisschen Koks brauchte, als es ihm beim Lernen für die Zwischenprüfung so dreckig ging. Vielleicht war es damals passiert. Himmel.
    Als er hörte, wie jemand anders in die Toilette kam, verließ er die Kabine und wusch sich die Hände. Dan spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und betrachtete sein Spiegelbild: der unbekümmerte Dan mit den weichen Haaren, der Junge, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Indem er sich an diese Gestalt erinnerte, ging es ihm rasch besser. Er wollte niemandem etwas Böses. Dazu war er gar nicht fähig. Er doch nicht. Zeigten sich da die ersten Falten in den Mundwinkeln? Er zog eine Tube Estée Lauder Active Regenerator aus der Tasche und massierte die Salbe behutsam ein. Als er die ersten Bartstoppeln unter den Fingerspitzen spürte, zuckte er zusammen.
    Draußen vor dem Pub, auf dem Uferweg, wurden die Menschenmassen dichter, denn die Sonne kam heraus und umschmeichelte kokett die Crews der Kajütboote. Ihnen könnte am Nachmittag vielleicht doch noch eine hübsche Segelpartie winken. Während Dan überlegte, ob er in den Pub zurückkehren und noch einen trinken oder zur Arbeit gehen sollte, entdeckte er einen außerordentlich gut aussehenden Mann, der allein am Tisch saß und auf den Fluss starrte. Dan hätte ihm keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt – er wusste, wann es Hoffnung gab und wann nicht –, nur dass der Mann nicht britisch, sondern amerikanisch aussah. Dan merkte es an der Art, wie er seine dunkle, teure Kleidung trug. Kein Brite hätte einen Rollkragenpullover auf diese Weise mit einem Blazer kombiniert. Und irgendwie wirkte der Mann exotisch, halb dies, halb das. Vor allem aber war er der bestaussehende Bursche, den Dan dieses Jahr erblickt hatte, selbst mit diesem eigenartigen Haarschnitt, der sich nicht entscheiden konnte, ob er lang oder kurz sein wollte. Tatsächlich sah der Amerikaner genauso aus, wie Dan immer hatte aussehen wollen – gelassen, nüchtern, ausgeglichen, den Nachmittag genießend, ohne dass die geringste Sorge seine Stimmung trübte. Dan beobachtete ihn volle dreißig Sekunden lang, doch kam es zu keinem Blickkontakt. Hetero war er also auch noch. Pech.
    Mit einer Schulterbewegung zog Dan das Jackett enger und ging zur Bushaltestelle. Er fragte sich, wie er Natalie die Geschichte mit Ray beibringen sollte. Vielleicht konnte sie ihm heraushelfen. Nein. Sie hatte schon Schwierigkeiten genug mit ihrem Projekt und dem aufmerksamen Interesse des Ministeriums – und diesem Kerl, der ihr nachstellte. Es musste warten. Und dann noch diese Frau vom Ministerium – ständig behelligte sie ihn mit Fragen über die Klinik und das Personal. Auch sie musste warten. Ihm gefiel es gar nicht, an so viele Dinge gleichzeitig denken zu müssen; am liebsten wäre ihm gewesen, wenn alles vergangen wäre und fertig. Wenn er genügend Geld zusammenbekam, konnte er abhauen und irgendwohin fliehen, wo es keine Rolle mehr spielte. Das Reisebüro auf der Market Street bot für anderthalb Tausender Flüge nach Australien an. Eigentlich konnte er jederzeit starten, wenn es unangenehm wurde. Wäre Natalie nicht gewesen, hätte er sich noch am gleichen Tag ins Flugzeug gesetzt.
    Dan stieg an der Micklegate Bridge in den Bus und beobachtete die Straßen, wie sie sich um ihn drehten und drehten, bis er nicht mehr wusste, in welche Richtung er blickte.

 
2
     
     
    »Tut mir Leid«, sagte der Mann vom Ministerium, »aber es ist völlig ausgeschlossen.«
    Natalie biss die Zähne zusammen und versuchte sich nichts anmerken zu lassen, doch auch dieser Versuch überschritt langsam die Grenze des Absurden. »Mir ist schleierhaft, wie Sie zu Ihrer Entscheidung kommen«, entgegnete sie schließlich. »Sie basiert nicht auf wissenschaftlichen Argumenten.«
    »Nein, vielleicht nicht, aber auf einer Abwägung der Prioritäten. Das Ministerium betrachtet Ihre Untersuchungen nicht als unmittelbar relevant. Selfware«, er rollte das Wort im Mund wie ein Riesenbonbon, das

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