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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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hätte, bezweifelte aber, dass er es hören wollte.
    »Aber Sie sind nicht hier, um von meinen Ideen zu lesen«, fuhr sie fort. »Na ja, eigentlich schon. Aber nicht, weil ich ein Publikum bräuchte. Kommen wir auf Ihr gestohlenes Programm zurück …« Mit Hilfe Ihres Pads aktivierte sie einen Schalter, und ein Teil der Decke schob sich beiseite; dann entrollte sich eine große Projektionswand bis hinunter zum Boden. Ein anderes Segment der Decke glitt geräuschlos weg, und ein Diaprojektor mit drei Objektiven fuhr in Position. Die Lampen erloschen, und Jude und Natalie rückten näher zusammen, um besser sehen zu können.
    Natalie warf ein Bild an die Wand, das Jude mühelos erkannte – die farbige Abbildung zweier Gehirne, in denen komplizierte Aktivitätsmuster animiert wiedergegeben wurden.
    »Das rechte ist ein Freiwilliger, der zufällig ausgesucht wurde. Das linke ist ein Zen-Buddhist, tief in Meditation versunken.«
    »Warum?«
    »Weil Zen-Buddhisten glauben, dass unter der Hülle Ihres Ichs, hinter all den prägenden Momenten ein anderes Wesen existiert, das nicht ihrer menschlichen Lebenszeit unterliegt, sondern ewig und unsterblich ist. Sie behaupten, man könne zu diesem Wesen Kontakt aufnehmen, wenn man den Verstand bei vollem Bewusstsein zur Ruhe bringt.« Sie trat an die Leinwand und stieß die Hand tief in die Synapsen des Buddhisten. »Sie sehen die Unterschiede, aber der Schlüssel ist nicht nur das Muster, sondern die Resonanz. Sie ist in diesem Bild blau dargestellt.«
    »Und was soll das? Hirnwellenunterschiede machen noch keine Seele aus. Oder?« Er blickte sie an, und sie nickte unter den Farbstreifen.
    »Nein, natürlich nicht. Doch hier sind die Theta-Wellen sehr stark ausgeprägt, und trotzdem ist die Person offensichtlich wach. Und hier.« Sie zeigte, was sie meinte, und erzählte ihm von Bereichen, wo die Wahrnehmung stattfindet, wo die Rohdaten der Sinnesorgane in Bedeutung umgesetzt werden. »Hier, diese Bereiche zeigen eine viel stärkere Kommunikation als bei der Testperson rechts.«
    Er blickte sie erwartungsvoll an, und sie begann, einen Film abzufahren. »Das ist meine Testperson, der Buddhist«, erklärte sie, und Jude sah einen Laborraum, der bis auf den alten Mann auf der Sitzmatte und einen anderen Menschen hinter ihm leer war. Beide hatten ein Krummschwert in der Hand. In der Ecke der Aufzeichnung lief langsam die Zeit durch. Die Männer hielten sich gerade und bewegungslos.
    Jude hörte das leise Rauschen der Tonspur und dachte, dass er den einen Mann gerade noch atmen hören konnte. Geräuschlos hob der Mann, der hinter dem Alten stand, sein Schwert.
    »Er ist ein Kendo-Meister«, sagte Natalie.
    Der Meister hob die Waffe zu einem Hieb, der dem Buddhisten unweigerlich den Schädel spalten musste. Der Buddhist bewegte sich nicht. Er schien zu schlafen. Nicht einmal ein Finger zuckte an der Hand, die er locker über Griff und Klinge des Schwertes gelegt hatte.
    »Sind die – echt?«, fragte Jude.
    »Ich habe den Teil ausgelassen, wo sie damit Melonen in Stücke hacken«, antwortete Natalie, ohne dass er zu sagen wusste, ob sie scherzte. »Das hier ist die interessante Stelle.«
    »Und das ist unter Testbedingungen?« Er war so erleichtert, keine Kühlschränke voller Leichen gezeigt zu bekommen, dass sein Interesse erwachte.
    »Aber ja.«
    Eine Ewigkeit hing die Klinge in der Luft. Nach fast zwei Minuten, in denen praktisch keine sichtbaren Veränderungen stattgefunden hatten, holte Jude gerade Luft, um Natalie zu fragen, was das Ganze solle, als sich plötzlich einen Zentimeter über dem Kopf des kahlen Mannes die Klingen kreuzten. Rein und laut schallte das Schwerterklirren durchs Zimmer, und Jude sprang vom Boden auf.
    »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen!«, rief er mit hämmerndem Herzen.
    Natalie drückte die Rückspultaste, dann spielte sie die gleiche Szene in Zeitlupe noch einmal ab. »Und das sagt ausgerechnet der Mann mit den von selbst erscheinenden Akten«, murmelte sie. Doch Jude war zu erschrocken, um zu lächeln.
    Diesmal verstrichen die Sekunden vor seinen Augen erheblich langsamer. Beim dritten und vierten Abspielen erst sah er, ein Bild nach dem anderen, wie sich in dem Moment, bevor die Klinge herunterfuhr, die Hand des Buddhisten um das Schwert schloss. Mit übernatürlicher Geschwindigkeit und ohne jedes Schwanken lenkte sie den Stahl zwischen seinen Kopf und die hinabsausende Klinge – genau an die Stelle, wo sie sein musste, und dort blieb sie,

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