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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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stehen, die
Füße auf zwei Stufen. Sie schüttelte den Kopf und sagte ungewöhnlich ernst:
    „Nein, was ich Ihnen da gezeigt
habe, ist nicht interessant. Sehr liebenswürdig, daß Sie das Gegenteil
behaupten; aber ich weiß, daß es nicht interessant ist. Vielleicht für jemand,
der das noch nie gesehen hat. Aber ich hab Sie nicht in meiner Werkstatt
herumgeführt, weil ich es für interessant halte.“
    „Und warum dann, Madame?“
    „Ich wollte Sie beobachten...“
    Sie lächelte schwach. Um ihren
Mund sammelten sich Falten, fühlten sich wohl und blieben dort, bis das Lächeln
verschwand. Vielleicht sind sie heute noch dort.
    „Mich beobachten?“
    „Ich weiß, ich bin nicht sehr
geschickt, aber na ja...Ich wollte Sie besser kennenlernen, weil... ich muß
Ihnen etwas sagen, muß Sie etwas fragen... Ich wollte es nicht in Odettes
Beisein tun...Ich wußte, daß sie nicht mit in die Werkstatt kam... sie haßt die
Werkstatt... Und vor den Arbeitern konnte ich auch nicht darüber reden... Aber
jetzt muß es sein...“
    Ihre Hand lag immer noch auf
meinem Arm. Die Finger krallten sich in den Stoff meines Trenchcoats.
    „...Vielleicht irre ich mich
auch... Sie sind so offen...“
    Sie atmete tief durch:
    „...Ich mache mir Sorgen,
Monsieur.“
    Unter meinem linken Fuß knarrte
die Stufe. Ich veränderte die Stellung und lehnte mich an das geschnitzte
Geländer. Madame Jacquier stand höher als ich, machte aber keinen überragenden
Eindruck.
    „Sorgen?“
    „Ja. “
    Ich lächelte:
    „Das trifft sich gut, wenn ich
das so sagen darf. Es ist mein Beruf, Sorgen zu verjagen.“
    „Ach ja? Richtig... ich... ja,
was sind Sie denn von Beruf?“
    „Das sag ich Ihnen später.“
    „Natürlich“, seufzte sie.
    Ein Beruf, von dem man besser
nicht spricht, mußte sie denken.
    Ihre Finger krallten sich fest:
    „...Das hab ich befürchtet...“
    Sie lachte:
    „...Sie verjagen die Sorgen.
Sie spenden Trost. Sie sind also von Beruf Trostspender!“
    „Wenn man so will.“
    „Und Sie trösten Odette?“
    „Wie darf ich den Sinn Ihrer
Worte deuten?“
    Verdammter historischer Rahmen!
Jetzt benutzte ich schon am frühen Nachmittag Wendungen aus dem 17.
Jahrhundert!
    „Ich bitte Sie, machen Sie sich
nicht über mich lustig“, sagte sie. „Sie verstehen das sehr gut.“
    „Da bin ich gar nicht so
sicher. Wollen Sie damit sagen... ich schlafe mit ihr?“
    Das war nicht so vornehm wie
der Satz vorher, aber trotzdem noch besser als „es mit ihr treiben“ oder so was
Ähnliches.
    „Ist das nicht der Fall?“
    „Großer Gott, nein!“
verteidigte ich mich so heftig, daß es schon beinahe beleidigend war für die
schöne blonde Odette. Dabei hätte ich sie, offen gesagt, nicht aus dem Bett
geschubst. Aber der Verdacht der Königinmutter haute mich um.
    „Wie sind Sie daraufgekommen?“
    Sie antwortete nicht. Ich
fragte weiter:
    „Waren das Ihre Sorgen?“
    „Ja.“
    „Ich versichere Ihnen, sie sind
unbegründet.“
    Resigniert hob sie die
Schultern und ließ meinen Arm los. „Vielleicht mach ich mir etwas spät Sorgen“,
räumte sie ein. „Schwören Sie mir, daß...“
    „Ich schwör’s Ihnen.“
    Sie seufzte, für keine zwei
Pfennig überzeugt. Es war zum Totlachen. Ich hätte das dreihundertjährige
Holzgeländer runterrutschen können. Meine Stimme klang aufrichtig. Zu Recht.
Aber mehr als die Aufrichtigkeit in meiner Stimme hatte ich nicht zu bieten.
Offensichtlich genügte das nicht. Aber man konnte doch keinen Arzt kommen
lassen, zum Teufel! Eine ärztliche Untersuchung hätte auch keine Klarheit
gebracht. Hier war sowieso keiner mehr Jungfrau.
    „Was vergangen ist, ist
vergangen“, fuhr Madame Jacquier wie zu sich selbst fort. „Aber ich muß an die
Zukunft denken. Meine Gießerei geht nicht besonders gut. Ich werde Odette
praktisch nichts hinterlassen. Sie ist mit einem der reichsten Erben aus dem
Marais verlobt. Sohn eines Fabrikanten von Scherzartikeln...“
    Sie stieß ein kurzes, heiseres
Lachen aus, leiderfüllt.
    „...Ist das nicht eine
verrückte Geschichte? Na ja, wie Sie schon sagten: Keine Arbeit ist so dumm,
daß man damit kein Geld verdienen kann.“
    Ich nickte zustimmend.
    „...Odette soll diese Heirat
nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Jean ist von Natur ziemlich
eifersüchtig... Als ich sie beide eben zusammen aus dem Taxi steigen sah...
Zuerst hab ich mir dabei gar nichts gedacht — ich bin nämlich manchmal etwas
gedankenlos — aber... erst so nach und nach ist mir die Gefahr

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