Marais-Fieber
Satz war für ihre
Tochter bestimmt, die Frage für mich, der letzte Satz für sie selbst. Für
Gläser, Möbel und Wände blieb nichts übrig.
„Der Tag?“ fragte ich.
„Ja. Heute nachmittag waren schon Inspektoren von der Polizei bei mir und wollten mich über ihn
ausfragen. Sie wußten auch irgendwoher, daß wir uns gekannt haben. Wenn man das
so nennen kann. Er war ein Freund meines Mannes, meines ersten Mannes, Monsieur
Larchaut. Besser gesagt, ein Bekannter, ein Kriegskamerad...“
Dieser Scheißkrieg! Gemischtes
Publikum, sozusagen. Man schließt Freundschaften mit irgendwelchen Gaunern. Schrecken, die Goya zu malen vergessen hat !
„...Seit dem Tode von Monsieur
Larchaut haben wir uns nur selten gesehen... Aber warum zum Teufel
interessieren Sie sich
denn für den Mann?“
„Ich interessiere mich mehr für
Maurice Badoux.“
„Maurice Badoux?“
„Der Student, der die Leiche
entdeckt hat.“
„Ach, ja. Verstehe. Aber
wieso... Sind Sie auch von der Polizei?“
„Auf privater Ebene.“
„Sie meinen... Privatdetektiv?“
„Ja, Madame.“
Sie runzelte die Stirn. Dann
wurden ihre Augen riesengroß, so als hätte sie soeben eine Erleuchtung gehabt.
„Ich hab’s“, rief sie und
rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. „Nestor Burma, nicht wahr?“
„Ja, so heiß ich“, lächelte
ich.
Durch das ständige Wiederholen
wurde der Name unwirklich.
„Jetzt weiß ich, warum er mir
mehr oder weniger bekannt vorkam“, freute sie sich weiter. Dann wandte sie sich
an ihre Tochter:
„Warum hast du mir nicht
gesagt, daß du einen kennst?“ Odette Larchaut schickte eine Rauchwolke zur
Decke. „Weil wir doch gemeint haben, es sei nicht nötig, oder?“
„Was ist nicht nötig?“ fragte
ich.
„Ich dachte, ich brauchte einen
Privatdetektiv“, erklärte mir Madame Jacquier. „Deshalb bin ich alle Ihre
Kollegen im Pariser Telefonbuch durchgegangen. Zwangsläufig sind mir einige
Namen im Gedächtnis geblieben, zum Beispiel Ihrer.“
„Und Sie haben die Sache nicht
weiter verfolgt?“
„Ich hätte mein Geld zum
Fenster rausgeworfen.“
„Sollten Sie Ihren Entschluß
ändern, Madame, ich stehe Ihnen zur Verfügung.“
„Danke.“
„Um auf den Wucherer
zurückzukommen...“
„Ach ja. Sie wollten wissen...“
Ich erzählte ihr von Maurice
Badoux, hatte aber kein Glück. Sie wußte absolut nichts über ihn und seine
Beziehungen zu Cabirol. Hatte seinen Namen zum ersten Mal in den Zeitungen
gelesen. Also ein Schlag ins Wasser. Aber vielleicht... An einem anderen Ufer
ging die Sonne auf. Ich ließ die Unterhaltung dahinplätschern, lenkte dann aber
das Thema geschickt auf das Herumsuchen im Telefonbuch.
„Es ging um meinen Mann“,
entlockte ich Madame Jacquier.
„Um Ihren Mann?“
„Monsieur Jacquier.“
„Ach ja. Und?“
Beiläufig antwortete sie:
„Er ist verschwunden.“
In diesem Ton gibt man auch Auskunft
über die Uhrzeit oder plaudert über einen Wetterumschwung.
* * *
„Er ist verschwunden ,“ wiederholte sie, „wird aber bald wieder zurückkommen.
Wenn auch nicht nach Hause, so doch nach Paris. Und dann weiß ich, wo ich ihn
finden kann.“
„Offensichtlich hat sich Mama
im ersten Augenblick verrückt gemacht“, warf Odette ein.
„Es ist nie sehr angenehm zu
erfahren, daß dein Mann dich betrügt“, erwiderte die Mutter. „Auch wenn man
sich nicht versteht. Aber daß ich mich verrückt gemacht hab’, stimmt nicht. In
meinem Alter berührt einen so was kaum noch.
„Und aufgrund dieser
Philosophie haben Sie darauf verzichtet, einen Privatdetektiv zu engagieren?“
fragte ich.
„Nein... Ich überlege... Ich
brauche einen Vermittler. Ich kann ihm nicht selbst hinterherlaufen. Ich... es
müßte jemand sein, der ihm imponiert. Ja... Würden Sie das eventuell
übernehmen, Monsieur Burma?“
„Also... eigentlich...“
Ich wollte mich nicht zu gierig
auf den hingeworfenen Knochen stürzen. Wie sah das aus?
„...wenn Sie sicher sind, daß
er bald zurückkommt…“
„Ganz sicher. Aber darum geht’s
nicht.“
„Scheidung?“
„Nicht so eilig...“
Sie strich sich über die Stirn.
„...Ich bin müde... Diese
Polizisten...“
„Waren Sie unfreundlich?“
„Sehr korrekt. Aber Sie können
sich doch vorstellen... eine Frau in meiner Position... zugeben zu müssen, mit
so einem Subjekt wie Cabirol bekannt gewesen zu sein...“
Zu ergänzen: der die
Geschmacklosigkeit so weit trieb, sich umbringen zu lassen...
„Ich verstehe. War
Weitere Kostenlose Bücher