Marais-Fieber
Fußballspieler in
Aktion, ein Indianerkopf, ein Flugzeug, ein Boxer usw.
„Und davon leben wir also,
meine Kinder und ich“, sagte Madame Jacquier mit großzügiger Geste. „Und davon
lebten auch, und zwar sehr gut...“ — das betonte sie besonders — „...die Eltern
meines ersten Mannes. Von der Herstellung und dem Verkauf dieser... dieses
Schunds. Ist das nicht lächerlich?“
Nein, sie fand das bestimmt
nicht lächerlich. Das Wort „Schund“ war ihr schwer über die Lippen gekommen.
Sie war nur vorsichtig, nicht sicher, ob das denn wohl das Feinste vom Feinen
der Kunst war oder nicht. Bis jetzt hatte ich mich vor Bewunderung noch nicht
auf dem staubigen Boden gewälzt. Vielleicht hatte ich mir sogar hier und da ein
ironisches Lächeln nicht verkneifen können.
„Keine Arbeit ist so dumm, daß
damit nicht Geld verdient werden kann“, sagte ich.
Dieser tiefsinnige Gedanke
beeindruckte sie. Das ging runter wie Butter. Diese Art philosophischer
Weisheit kam ihr entgegen. Entsprach dem Niveau der Möwen, der Pinguine und dem
anderen Viehzeug, mit dem dieses Viertel hier Geld macht. Ich gefiel ihr, das
hatte sie mir gesagt. Hoffentlich hielt sich die Begeisterung in Grenzen! Ein
so gewaltiger Gedanke konnte mir nur dazu verhelfen, ein wenig in ihrer Achtung
zu steigen, mit der sie mich anscheinend überhäufen wollte. Trotzdem hatte ich
so langsam keine Lust mehr, den Kasper zu spielen. Wäre liebend gerne
abgehauen. Warum sollte ich mich in die Arbeit anderer Leute vertiefen, wenn
ich mit meiner eigenen nicht vorankam?
„Wir müssen gegen eine starke
Konkurrenz ankämpfen“, seufzte sie. „Sie wissen doch bestimmt, daß diese
Parisartikel zum großen Teil in Deutschland hergestellt werden, nicht wahr?“
Ich fürchtete schon, sie würde
mir mit der deutschen Gefahr kommen. Aber es blieb bei dieser Feststellung. Sie
sah auf die Uhr:
„Ich glaube, wir sollten jetzt
zu Odette gehen, finden Sie nicht?“
„Wie Sie meinen.“
Sie gab ihren Arbeitern noch
letzte Anweisungen. Dann verließen wir diesen überhitzten Ort.
Verdächtigungen
aller Art
„Fanden Sie das interessant?“
erkundigte sich Madame Jacquier auf der Straße.
„Sehr“, log ich.
„Ja, das ist sehr interessant“,
nickte sie, so als müßte sie es sich selbst einreden.
Wir bogen in die schmale Rue de
Thorigny ein. Nach ein paar Schritten waren wir am Ziel.
Ich erschauerte. Das
Festprogramm drohte so zu verlaufen, wie ich es vorausgesehen hatte. Ich stand
zwischen zwei historischen Häusern. Das eine war das berühmte Salé, wie ich später erfuhr. Hier hatte ein Salzsteuereintreiber
gewohnt, der sich wie kein zweiter mit gesalzenen Nebeneinnahmen seine
Dienstjahre versüßt hatte. Das Juwel der Architektur aus dem 17. Jahrhundert,
das inzwischen unter häßlichen Verschönerungsarbeiten ohne Stil und Geschmack
teilweise verschüttet ist, beherbergt heute irgendeine Ecole
Technique . In dem Haus genau gegenüber wohnte Madame Jacquier. Vielleicht
hatte es damals ein reicher Steuerhinterzieher bauen lassen, um den
Steuereintreiber zu ärgern. Auch dieses Haus hatte unter den Jahren und den
Menschen gelitten. Die Harmonie des ovalen Vorhofes wurde durch eine
Holzbaracke zerstört. So eine klare Linienführung sieht man auch oft bei
Kaninchenställen. Wortlos gingen wir über die breiten Pflastersteine. Früher
hatte der Hof unter den Hufen von Rassepferden widergehallt. Heute bollerte ein
kreischender Knirps mit seinem Roller über das Pflaster.
Madame Jacquier schien mir
plötzlich besorgt. Wie ich es schon befürchtet hatte, bekam ich jetzt eine
Nachhilfestunde in Geschichte. Aber ich wollte den Fluß der gelehrten
Ausführungen nicht durch unqualifizierte Bemerkungen unterbrechen. Wenn ich
mich weiterbilden wollte, konnte ich mir ja immer noch ein Fachbuch kaufen. Wir
gingen durch eine riesige Glastür in eine Empfangshalle, nicht ganz so
weitläufig wie der Square du Temple. Von hier führte eine breite Treppe nach
oben. Die ausgetretenen, krummen Stufen wären beinahe gefährlich gewesen, hätte
man sich nicht an einem kunstvoll geschnitzten Geländer festhalten können. Ich
war aber immer noch vorsichtig mit meinen Äußerungen und bewunderte lieber
schweigend das elegante Geländer. Trotzdem hatte ich Angst, den Redefluß meiner
Lehrerin zu unterbrechen. Plötzlich blieb Madame auf halber Treppe stehen und
legte mir ihre Hand auf den Arm.
„Monsieur Burma“, sagte sie.
„Ja, Madame?“
Ich blieb ebenfalls
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