Marais-Fieber
des
Filles-du-Calvaire. Ich stellte ihn mir sofort vornehm salbungsvoll vor, von
vollendeter Höflichkeit. Glatze, steifer Kragen mit abgeknickten Ecken,
fleischige Hände wie ein Geistlicher. Der Notar von Monsieur und Madame
Larchaut, der Notar der Witwe, der Notar von Madame Jacquier und auch von
Monsieur Jacquier. Gehörte zur Familie, war ein Teil von ihr. Letzten März
brauchte der Staatsbeamte die Unterschrift des Gatten, übrigens in Madames
Interesse. Worum es da ging, verstand ich nicht so genau. Madame Jacquier wußte
über die Sache anscheinend auch nicht richtig Bescheid, und ich kenn mich in
Rechtssachen sowieso nicht gut aus. War auch nicht so wichtig. Wichtig war nur,
daß man die Unterschrift brauchte. Also mußte man den Ausreißer wieder
einfangen und ihm einen Füller in die Hand drücken. Deshalb hatte man an die
Talente eines Privatdetektivs gedacht. Endlich kamen wir wieder darauf zu
sprechen. Ich...
Nein, noch nicht.
„Als erstes hab ich meinem Mann
geschrieben“, sagte Madame Jacquier. „Über die Adresse dieser Miss Pearl. Hätte
mir den grotesken und unwürdigen Schritt sparen können. Der Brief war an die
Verwaltung des Cirque d’Hiver adressiert. Ich warte heute noch auf die
Antwort.“
„Vielleicht wird ihr die Post
nicht nachgeschickt“, warf ich ein.
„Doch. Sehr gewissenhaft. Hab
mich danach erkundigt. Mein Brief ist nach London oder Berlin gegangen, ich
weiß es nicht mehr genau. Ob er verlorengegangen ist oder nicht, jedenfalls hab
ich keine Antwort erhalten.“
Von der Zirkusdirektion erfuhr
sie dann, daß Miss Pearl im April wieder nach Paris kommen würde, pünktlich für
das neue Programm. Das teilte sie Maître Dianoux mit. Ebenso ihre Absicht,
einen Privatdetektiv einzuschalten. Vorher hatte sie schon das
Branchenfernsprechbuch gewälzt und eine Liste der möglichen Kopfjäger
aufgestellt. Wär ‘ne kostspielige Tour de France geworden. Der Notar und
Geldverwalter redete seiner Klientin diese Idee aus. So wurde der Plan
fallengelassen, bevor er noch richtig ins Auge gefaßt worden war. Das zeugte
von Klugheit. Aber wenn diese Klugheit um sich greifen würde, blieb uns
Privatdetektiven nichts anderes übrig, als stempeln zu gehen. Inzwischen hatte
man keine Eile mehr. (Ich rede jetzt wieder von der Geschichte mit der
Unterschrift). Da die Trapezkünstlerin ja sowieso bald wieder in Paris
auftauchen würde, gab’s zwei Möglichkeiten: entweder Jacquier umkreiste immer
noch seine Sonne, wie der Rechtsverdreher sich ausdrückte, dann gab es keine
Probleme. Oder aber es war aus zwischen den beiden. Dann würde Miss Pearl
bereitwillig darüber Auskunft geben, wo ihr Tourneeliebhaber zu finden war.
Jedenfalls würde man sich dann schon irgendetwas einfallen lassen. So brauchte
Madame Jacquier nicht blind vorzugehen, und die Kosten hielten sich in Grenzen.
Gegen solche Überlegungen war
nichts zu sagen. Also sagte ich auch nichts.
„...Im ersten Fall“, fuhr
Madame Jacquier fort, „wäre es unvereinbar mit unserer Würde — sowohl meiner
als auch der von Maître Dianoux — , meinen Mann bei seinen
Zirkusleuten aufzusuchen. Deshalb...“
„Das kann ich ja übernehmen“,
bot ich mich an.
„Sehr gut. Im zweiten Fall
natürlich...“
„Das fällt doch erst recht in
mein Ressort.“
„Sehr gut“, wiederholte sie.
„Nicht nötig, nt>ch länger zu warten. Betrachten Sie sich als engagiert,
Monsieur Burma. Ich...“
Unvermittelt vertiefte sie sich
in eine Knitterfalte ihres Kleides. Sorgfältig strich sie sie glatt.
„...äh... also eigentlich...“
„Ja?“
Sie ließ von der Falte ab.
„Natürlich muß ich erst Maître
Dianoux um Rat fragen. Was meinst du, Odette?“
„Ich weiß nicht“, antwortete
das Mädchen.
„Ja, doch. Das wäre korrekt.“
Sie ging zum Telefon, das sich
auf einem Tischchen langweilte, so eine lange Weile hatte es schon alleine in
der Ecke stehen müssen.
„Hallo? Maître Dianoux? Guten
Abend. Hier Ernestine...“
Während die Mutter mit dem
Notar sprach, rückte die Tochter näher zu mir.
„Noch einen Aperitif,
Monsieur?“
„Gerne.“
Sie schenkte mir ein. Dann
sagte sie leise:
„Nun, Herr Detektiv? Dann haben
Sie ja doch nicht Ihre Zeit vergeudet.“
Sie lächelte.
Ich lächelte zurück:
„Nicht wahr? Das Glück ist mit
den Lumpen, wie das Sprichwort sagt.“
Sie wurde rot:
„So meinte ich das nicht.“
„Übrigens stimmt es auch nicht.
Sonst wär Cabirol nicht tot.“
„Hören Sie damit bloß
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