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Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Titel: Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Espinosa
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Fremdling diese Erinnerung erfunden oder abgeändert haben konnte, doch wer immer er auch war, ich wollte ihn besser kennenlernen.
    »Holen wir ihn raus«, sagte ich.
    Mein Chef schüttelte weder den Kopf, noch versuchte er, es mir auszureden. Er lächelte, als habe er darauf gewartet, dass ich das sagte.

11
    Eine Liebe, nach der man
nicht gefragt hat, ist ein Geschenk
des Himmels

I ch wusste, dass mein Vorschlag nicht leicht durchzuführen wäre, der Gebäudekomplex war ziemlich gut bewacht, aber irgendetwas an diesem Fremdling ließ mich nicht mehr los … Ich weiß nicht, ob es der Blick des Jungen in dem roten Regen war oder der fünfeckige Planet oder die Art, wie er mir sagte, es sei wichtig, dass ich das Mädchen vom Teatro Español kennenlernte.
    Mein Chef holte die Grundrisspläne aus dem Safe und begann, verschiedene Möglichkeiten aufzuzählen. Dani hörte ihm aufmerksam zu; ich dachte an das Mädchen vom Theater. Mir war ohnehin klar, dass meine Meinung zu dem Fluchtplan nicht besonders ins Gewicht fiel; ich bin mir meiner Grenzen immer bewusst gewesen. Überhaupt glaube ich, dass das eine große Errungenschaft ist: zu wissen, wo man nichts ausrichten kann, sei es aus mangelnder Intelligenz oder aus Desinteresse.
    Warum hatte der Fremdling gesagt, das Mädchen vom Teatro Español sei wichtig für mein Leben? Darüber sinnierte ich, während die anderen beiden sich Strategien überlegten. Warum hatte sie ein so starkes Gefühl in mir ausgelöst? Hätte ich mich doch getraut, dem Fremdling mehr Fragen zu stellen! Irgendwie faszinierte er mich, kurioserweise ähnlich, wie meine Mutter die Zuschauer durch ihre Choreographien oder schlicht durch ihre Präsenz fasziniert hatte.
    Dani äußerte sich nicht, bis ihm unsere Absichten und der Plan klar waren.
    »Aber wohin sollen wir ihn denn bringen?«, fragte er schließlich. »Ich meine, wenn wir ihn hier herausholen, was machen wir dann mit ihm? Sie werden alles tun, um ihn zu finden.«
    »Wir werden ihn nicht verstecken«, sagte mein Chef. »Wir werden ihn nur befreien.«
    »Aber wenn er …«, stammelte Dani, »wenn er wirklich ein Fremdling ist, müssen wir ihn dann nicht überwachen?«
    Ich überlegte, ob ich ihnen sagen sollte, was ich gesehen hatte. Ob ich ihnen von dem roten Regen, dem fünfeckigen Planeten erzählen, ihre Zweifel über seine Herkunft zerstreuen sollte. Doch ich befürchtete, es könnte sie von ihrem Vorhaben abbringen.
    »Hilf uns, Dani«, sagte ich. »Vertrau mir.«
    Dani hatte mich noch nie im Stich gelassen. Seit unserer ersten Begegnung wusste ich, dass ich auf ihn zählen konnte. Dani war in mich verliebt. Auch das wusste ich seit unserer ersten Begegnung. Meine Mutter hatte mir von klein auf beigebracht, dass die Gefühle, die andere uns entgegenbringen, wichtig sind, auch wenn wir sie nicht erwidern können.
    »Eine Liebe, nach der man nicht gefragt hat, ein Verlangen, das unbeantwortet bleibt, sind Geschenke des Himmels«, erklärte sie einmal auf einer langen Zugfahrt von Barcelona nach Paris. »Verachte sie nicht, nur weil sie dir nicht von unmittelbarem Nutzen sind.«
    Ich war damals noch sehr jung und begriff nicht, was sie meinte. Im Grunde habe ich sie nie verstanden. Aber ihr waren solche Formen der Liebe widerfahren, etliche Menschen hatten sich in sie verliebt. Ihr Tanz, ihre Bewegungen, ihre Choreographien weckten alle möglichen Formen der Leidenschaft, in denen Liebe und Sex sich vermischten.
    Von klein auf bekam ich mit, wie liebevoll sie diese Menschen, die sie so sehr verehrten, behandelte, auch wenn sie selbst nichts für sie empfand. Und es schien, als würde allein die Tatsache, dass diese Gefühle existierten, sie erfüllen und vervollständigen.
    Männer wie Frauen verliebten sich in sie. Für sie machte es keinen Unterscheid.
    »Denk nicht in sexuellen Neigungen«, brachte sie es eines Tages auf den Punkt. »Das Festhalten daran spiegelt nur die Angst vor dem anderen und dem wider, was man nicht begreift. Auf dich wird ein Gefühl projiziert, du musst es nur zulassen.«
    Ich glaube nicht, dass sie je mit einer Frau geschlafen hat, bin mir aber auch nicht ganz sicher, weil sie eben diese ihr entgegengebrachten Gefühle so vollkommen verstand und sich von ihnen nährte, ganz egal, wer sie empfand.
    Sie lehrte mich auch, zu erkennen, zu unterscheiden und zu begreifen, welche Art von Menschen sich in mich verliebte oder von wem ich heimlich begehrt wurde. »Die Liebe ist an den Sex geschweißt oder der Sex an

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