Margaret Mitchell
kam allabendlich, um über die Umsätze des Tages
zu berichten. Aber Frank war nicht befriedigt.
Er klagte
darüber so viel, bis Scarlett, die auf eine solche Gelegenheit nur gewartet
hatte, ihm ihre kühle Hand auf die Stirn legte und sagte: »Lieber, ich werde
böse, wenn du dich so aufregst. Ich gehe selber und sehe nach dem Rechten.«
Sie ging,
nachdem sie lächelnd seine Einwände zum Schweigen gebracht hatte. In den drei
Wochen ihrer jungen Ehe war sie fieberhaft beschäftigt gewesen, die Bücher
einzusehen und herauszubekommen, wie die Geschäfte standen. Was für ein Glück,
daß er im Bett liegen mußte!
Der Laden
lag in der Nähe von Five Points. Sein neues Dach stach grell von den verräucherten
alten Mauern ab, hölzerne Sonnendächer beschatteten den Fußsteig bis zur
Straßenkante, und an den langen Eisenstangen, die die Pfosten miteinander
verbanden, waren Pferde und Maultiere angebunden. Drinnen im Laden sah es
ungefähr wie in Bullards Laden in Jonesboro aus. Nur saßen keine Müßiggänger um
den rotglühenden Ofen und spien Tabaksaft in die Sandnäpfe. Der Laden war
größer als der Bullardsche und viel dunkler. Die hölzernen Sonnendächer ließen
kaum etwas von dem winterlichen Tageslicht herein. Drinnen war es dämmerig, und
nur von den Seitenwänden droben kam ein Lichtstrahl durch die von Fliegen
beschmutzten kleinen Fenster. Der Fußboden war mit feuchtem Sägemehl bedeckt,
überall lag Schmutz und Staub. Vorn im Laden, wo die hohen Borde ins Dunkel
aufstiegen, mit bunten Stoffballen, Porzellan, Kochgerät und Kurzwaren besetzt,
sah es fast ordentlich aus. Aber hinten, in einem abgetrennten Raum, herrschte
das wahre Chaos.
Die Waren
waren hier in kunterbuntem Durcheinander unmittelbar auf dem festgestampften
Erdboden aufgehäuft. Im Halbdunkel sah sie Kisten und Ballen, Pflüge,
Pferdegeschirr, Sättel und billige Särge aus Tannenholz. Alles Mobiliar türmte
sich im Dunkeln. Stücke aus allen Holzarten, verschlissene Brokat- und
Roßhaarpolster leuchteten fremd aus ihrer schmierigen Umgebung. Sätze von
Nachtgeschirren, Schalen und Eimern standen überall herum, und an den vier
Wänden befanden sich tiefe Fächer, in denen es so dunkel war, daß man die Lampe
dicht heranbringen mußte, um zu erkennen, daß sie Sämereien, Nägel, eiserne
Haken und Tischlerwerkzeug enthielten.
»Eigentlich
hätte ein so pedantischer Mensch wie Frank seinen Kram besser in Ordnung halten
sollen«, dachte Scarlett und wischte sich die schmutzigen Hände ab. »Dies ist
ja ein Schweinestall. So kann man doch keinen Laden aufziehen! Wenn man nur das
Zeug abstaubte und nach vom stellte, wo die Leute es sehen könnten, ließe es
sich viel rascher verkaufen.«
Wenn schon
sein Inventar in solchem Zustand war, wie mußte es dann erst in den Büchern
aussehen!
Sie
beschloß, sich jetzt sein Kontobuch vorzunehmen, ergriff die Lampe und ging
wieder nach vorn in den Laden. Willie, der Gehilfe, hatte offenbar wenig Lust,
ihr den großen Band mit dem schmutzigen Rücken auszuhändigen. Bei all seiner
Jugend schien er Franks Ansicht zu teilen, daß die Frauen im Geschäft nichts zu
suchen haben. Scarlett schnitt ihm scharf das Wort ab und schickte ihn zu
Tisch. Als er fort war, wurde ihr wohler; seine mißbilligenden Blicke hatten
sie geärgert. Sie machte es sich auf einem Rohrstuhl neben dem zischenden Ofen
bequem, zog den einen Fuß unter den Oberschenkel und klappte das Buch auf dem
Schoß auf. Es war Mittagszeit, die Straßen waren menschenleer, keine Kunden
kamen, und so hatte sie den Laden für sich allein.
Langsam
blätterte sie um und prüfte die Kolonnen der Namen und Ziffern in Franks
gestochener Handschrift. Es war ganz, wie sie erwartet hatte. Sie runzelte die
Stirn über dies neue Zeugnis seiner mangelnden kaufmännischen Begabung.
Mindestens fünfhundert Dollar standen aus, einige schon seit Monaten. Viele
Schuldner - darunter Merriwethers und Elsings - waren ihr wohlbekannt. Bei
Franks wegwerfenden Bemerkungen über das Geld, das gewisse Leute ihm schuldig
wären, hatte sie sich kleine Summen vorgestellt. Nun aber dies hier!
»Wenn sie
nicht bezahlen können, warum kaufen sie dann immer weiter?« dachte sie
aufgebracht. »Und wenn er weiß, daß sie nicht zahlen können, warum verkauft er
ihnen wieder etwas? Viele von ihnen könnten bezahlen, wenn er sie nur dazu veranlassen
wollte. Elsings sicher, da sie Fanny ein neues Atlaskleid und eine teure
Hochzeit geben konnten. Frank ist zu gutmütig, und das
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