Margaret Mitchell
wohnte sie in einem Herrenhause.
Nein,
Melanie kam niemals auf den Gedanken, daß die Leute sich um sie scharten wie um
eine geliebte Schlachtenfahne. Und sie war erstaunt und verlegen, als Dr. Meade
nach einem reizenden Abend in ihrem Hause, wo er sich hochverdient gemacht
hatte, indem er die Rolle des Macbeth las, ihr die Hand küßte und dazu einiges
in demselben Ton, in dem er einst von >unserer glorreichen Sache< zu
sprechen pflegte, zu ihr sagte:
»Meine
liebe Miß Melly, es ist immer ein Vorzug, bei Ihnen zu weilen, denn Sie und die
Damen, die Ihnen gleichen, sind unser aller Herz, das einzige, was uns
übriggeblieben ist. Die Feinde haben uns die Blüte unserer männlichen Jugend
und das Lachen unserer jungen Frauen genommen. Sie haben unsere Gesundheit
zerrüttet, unser Leben entwurzelt und unsere Kultur erschüttert. Sie haben
unseren Wohlstand zerstört und uns um fünfzig Jahre zurückgeworfen, aber wir
wollen wieder aufbauen, weil es Herzen gibt wie das Ihre, auf das wir bauen
können. Solange wir das haben, gönnen wir den Yankees alles übrige.«
Bis
Scarletts Figur einen solchen Umfang annahm, daß auch Tante Pittys großer Schal
ihren Zustand nicht mehr verhüllte, schlüpften sie und Frank häufig durch die
Hecke, um die Sommerabende in der Gesellschaft vor Melanies Haus zu verbringen.
Immer setzte sich Scarlett tief in den schützenden Schatten, wo sie nicht nur
selber unauffällig blieb, sondern auch Ashley nach Herzenslust betrachten
konnte.
Was sie
hierhin zog, war allein Ashley, denn die Unterhaltungen langweilten sie und
machten sie traurig. Sie folgten alle einem festen Programm. Zuerst kam die
schwere Zeit, dann die politische Lage und dann unweigerlich der Krieg. Die
Damen jammerten über die Teuerungen und fragten die Herren, ob wohl die guten
Zeiten je wiederkehren würden. Die allwissenden Herren sagten aber jedesmal,
ja, das würden sie, es sei nur eine Frage der Zeit. Die Damen wußten, daß die
Herren die Unwahrheit sagten, und die Herren waren sich dessen auch bewußt,
aber sie logen zuversichtlich weiter, und die Damen taten so, als glaubten sie
ihnen. Jeder wußte, daß die schweren Zeiten bleiben würden.
Wenn die
schweren Zeiten erledigt waren, sprachen die Damen von der zunehmenden
Unverschämtheit der Neger, den Schandtaten der Schieber und dem demütigenden
Anblick der herumlungernden Yankeesoldaten. Was meinten die Herren" Würden
die Yankees je mit dem Wiederaufbau von Georgia fertig" Die Herren meinten
beruhigend, Georgia sei im Handumdrehen wieder aufgebaut, sobald erst die
Demokraten wieder stimmen dürften. Die Damen waren so rücksichtsvoll, nicht zu
fragen, wann das der Fall sein würde. Dann war die Politik erledigt, und das
Gespräch wandte sich dem Kriege zu.
Wo zwei
Konföderierte zusammentrafen, gab es immer nur dieses Thema, und wo ein Dutzend
und mehr beieinander waren, war es eine ausgemachte Sache, daß der Krieg
theoretisch noch einmal von Anfang bis Ende durchgefochten wurde, und das
Wörtchen »wenn« spielte in den Unterhaltungen die größte Rolle.
»Wenn
England uns anerkannt hätte ... « - »Wenn Jeff Davis alle Baumwolle requiriert
und vor der Blockade nach England gebracht hätte ...« - »Wenn Longstreet bei
Gettysburg die Befehle ausgeführt hätte ... « -»Wenn wir Stonewall Jackson
nicht verloren hätten ... « - »Wenn Vicksburg nicht gefallen wäre ... « - »Wenn
wir noch ein Jahr durchgehalten hätten ... « und »Wenn sie Hood bei Dalton an
Stelle von Johnston den Oberbefehl gegeben hätten ... «
Wenn!
Wenn! Wenn! Die weichen, schleppenden Stimmen belebten sich immer wieder mit
der gleichen Erregung, während sie dort in der stillen Dunkelheit miteinander
sprachen - der Infanterist, der Kavallerist, der Artillerist, sie alle
beschworen Erinnerungen aus den Tagen, da das Leben immer in Hochflut
dahinströmte; in all der winterlichen Kälte ihres trostlosen Sonnenuntergangs
gedachten sie der stolzen Sommertage ihres Lebens.
»Sie
sprechen nicht von etwas anderem«, dachte Scarlett. »Sie werden auch nie von
etwas anderem sprechen - bis an ihren Tod.«
Sie
schaute um sich und sah die kleinen Jungen am Arm ihres Vaters liegen, hörte
sie schneller atmen und sah ihre Augen glühen, wenn von mitternächtlichen
Ausfällen und wilden Reiterangriffen und flatternden Fahnen die Rede war.
»Ach, und
auch die Kinder werden nie von etwas anderem sprechen. Ihnen wird es wunderbar
und glorreich erscheinen, gegen die Yankees zu kämpfen und
Weitere Kostenlose Bücher