Margaret Mitchell
das
darfst du nicht! Dir könnte etwas Schreckliches passieren. Die
Shantytown-Siedlung an der Landstraße nach Decatur soll von Niggern wimmeln,
und du mußt daran vorbei. Ich will es mir überlegen, aber versprich mir, daß du
heute noch nichts unternimmst. Inzwischen fällt mir schon etwas ein. Versprich
mir, daß du nach Hause gehst und dich hinlegst. Du siehst wirklich schlecht
aus. Versprich es mir!«
Scarlett
versprach es mürrisch, weil sie von ihrem Zorn so erschöpft war, daß ihr gar
nichts anderes übrigblieb. Sie ging nach Hause und lehnte dort hartnäckig alle
Versöhnungsversuche ab.
Am
Nachmittag stapfte eine seltsame Gestalt durch Melanies Hecke in Pittys
Hintergarten. Offenbar war es einer von den Leuten, von denen Mammy und Dilcey
sprachen als von dem »Gesindel, das Miß Melanie auf der Straße aufsammelt und
bei sich im Keller schlafen läßt«.
In
Melanies Kellergeschoß waren drei Räume, die früher als Dienstbotenzimmer und
Weinkeller gedient hatten. In dem einen schlief Dilcey, und die beiden anderen
waren beständig von einem Strom elend zerlumpter Gäste in Anspruch genommen.
Woher sie kamen und wohin sie gingen, wußte nur Melanie, und niemand außer ihr
wußte, wo sie sie auftrieb. Vielleicht sammelte sie sie tatsächlich von der
Straße auf. Ebenso wie die Großen sich in ihrem Salon zusammenfanden, so fanden
die Unglücklichen den Weg in ihren Keller, wo sie Kost und Nachtlager fanden
und noch ein Paket Nahrungsmittel mit auf den Weg bekamen. Meist waren es
frühere Soldaten der konföderierten Armee, von der rauheren, analphabetischen
Sorte, Heimatlose und Alleinstehende, die durch das Land wanderten und Arbeit
suchten.
Oft
nächtigten dort braune verhutzelte Frauen vom Lande mit einer Schar
strohblonder Kinder, Frauen, die Mann und Hof im Kriege verloren hatten und
nach Verwandten suchten, die sich in alle Winde zerstreut hatten. Manchmal
geriet die Nachbarschaft in Aufruhr, wenn Fremde da waren, die wenig oder gar
kein Englisch sprachen und durch farbenglühende Berichte von leicht erworbenem
Reichtum nach dem Süden gelockt worden waren. Einmal hatte auch ein
Republikaner dort geschlafen, jedenfalls behauptete Mammy steif und fest, es
sei einer gewesen, denn sie könne einen Republikaner wittern wie ein Pferd eine
Klapperschlange. Aber niemand glaubte Mammy. Irgendwo mußte Melanies
Menschenfreundlichkeit doch wohl eine Grenze haben.
»Ja«,
dachte Scarlett, die in der bleichen Novembersonne mit der Kleinen auf dem
Schoß vor der Seitentür saß, »das ist wieder eine von Melanies lahmen Enten.«
Übrigens war er wirklich lahm.
Der Mann,
der durch den Hintergarten herankam, humpelte wie Will Benteen auf einem
Holzbein. Es war ein großer, hagerer alter Mann mit einer rötlich leuchtenden,
schmutzigen Glatze und einem so langen grauen Bart, daß er ihn in den Gürtel
stecken konnte. Seinem verwitterten Gesicht nach zu urteilen, mußte er über
sechzig zählen, aber sein Körper hatte nichts von der Schlaffheit des Alters.
Er bewegte sich linkisch, aber trotz seines Holzbeins doch so flink wie eine
Schlange.
Er stieg
die Stufen hinauf und kam auf Scarlett zu, und noch ehe er sich durch seine
Aussprache mit dem schnarrenden »R« und dem näselnden Tonfall als Mann aus den
Bergen auswies, hatte Scarlett ihn als solchen erkannt. Bei all seinem
schmutzigen, zerlumpten Zeug hatte er, wie die meisten Gebirgler, einen wilden,
schweigsamen Stolz an sich, so daß man sich ihm gegenüber nichts herausnehmen
mochte. Sein Bart war von Tabaksaft beschmutzt, und ein großer Priem in der
einen Backe verunstaltete sein Gesicht. Die Nase war schmal und knochig, die
langen, buschigen Brauen waren emporgedreht, in seinen Ohren wuchsen üppige
Haarbüschel, daß sie wie Luchsohren aussahen. Unter der einen Braue war die
Augenhöhle leer, und eine Narbe lief von dort die Backe herunter, schräg durch
den Bart. Das andere Auge war klein, hell und kalt, unerschütterlich und
unbewegt. Er trug eine schwere Pistole offen am Hosenbund, und aus seinem
zerlumpten Stiefelschaft schaute der Griff eines Buschmessers hervor.
Scarletts
Blick erwiderte er kalt und spuckte, ehe er zu sprechen anfing, über das
Geländer. In seinem einen Auge war Verachtung, nicht für sie persönlich,
sondern für das ganze Weibergeschlecht, zu lesen.
»Mrs.
Wilkes schickt mich, ich soll für Sie arbeiten«, sagte er kurz. Er sprach
gleichsam mit eingerosteter Stimme, als wäre es ihm ungewohnt, und seine Worte
kamen
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