Margaret Mitchell
habe
es wohl gesehen! Gerade, als ich Gouverneur Bullock zu dir bringen und ihn dir
vorstellen wollte, bist du wie ein Hase davongelaufen.«
»Ich habe
ja nicht geglaubt ... ach, ich konnte es ja nicht glauben, daß er wirklich
kommen würde«, antwortete Melanie ganz unglücklich, »wenn auch alle sagten ...«
»Alle?
Dann haben sie also alle wieder über mich gequatscht und geklatscht«, rief
Scarlett wütend. »Du willst doch nicht etwa sagen, auch du wärst nicht
gekommen, wenn du gewußt hättest, der Gouverneur sei da.«
»Freilich«,
sagte Melanie leise mit gesenkten Augen. »Liebes, dann hätte ich es nicht übers
Herz gebracht zu kommen.«
»Zum
Teufel, dann hättest du mich also auch wie alle die anderen gekränkt!«
»Ach,
barmherziger Himmel«, klagte Melanie in ihrer Herzensbedrängnis.
»Ich wollte dich doch nicht kränken. Du bist doch meine Schwester, Liebes, die
Witwe meines geliebten Charlie, und ich ... «
Schüchtern
legte sie die Hand auf Scarletts Arm, aber Scarlett schüttelte sie ab und
wünschte nichts sehnlicher, als so laut zu toben wie Gerald in seinem Jähzorn.
Melanie aber stellte sich ihrem Zorn. Als sie Scarlett in die blitzenden grünen
Augen sah, strafften sich ihre zarten Schultern, und wie ein Mantel legte sich
in seltsamem Gegensatz zur Kindlichkeit ihrer Gestalt und ihres Gesichtes eine
ernste Würde um sie.
»Es tut
mir leid, wenn es dich kränkt, Liebes, aber mit Gouverneur Bullock oder
irgendeinem Republikaner oder Gesinnungslumpen kann ich nicht zusammenkommen.
Das will ich nicht, weder bei dir noch sonst irgendwo. Nein, auch nicht, wenn
ich ...« Melanie suchte nach dem Ärgsten, was sie sich ausdenken konnte, »auch
nicht, wenn ich unhöflich sein müßte.«
»Hast du
an meinen Freunden etwas auszusetzen?«
»Nein,
Liebes, aber es sind deine Freunde und nicht meine.«
»Bist du
unzufrieden mit mir, weil ich den Gouverneur bei mir empfange?«
Melanie
war in die Enge getrieben, aber sie schaute Scarlett fest ins Auge.
»Liebe,
was du auch tust, du hast immer einen guten Grund dafür. Ich habe dich lieb und
vertraue dir und habe kein Recht, dich zu verurteilen, und dulde es auch von
keinem anderen in meiner Gegenwart. Aber ... ach, Scarlett!« Plötzlich
sprudelten die Wort ihr hervor, heiße, rasche Worte, und in ihrer leisen Stimme
grollte unversöhnlicher Haß. »Kannst du denn vergessen, was diese Leute uns
angetan haben? Kannst du den Tod des lieben Charlie vergessen und Ashleys
zerstörte Gesundheit und den Untergang von Twelve Oaks? Ach, Scarlett, du
kannst doch unmöglich den schrecklichen Menschen vergessen, den du
niedergeschossen hast, als er sich an dem Nähkasten deiner Mutter vergriff! Du
kannst doch nicht vergessen haben, wie Shermans Leute auf Tara hausten und uns
sogar die Leibwäsche stahlen. Und wie sie versuchten, Tara niederzubrennen, und
die Stirn hatten, meines Vaters Degen anzurühren! Ach, Scarlett, die uns damals
ausgeraubt und gequält und dem Hungertode preisgegeben haben, sind dieselben,
die du in dein Haus einlädst. Dieselben, die die Schwarzen zu Herren über uns
gesetzt haben, die uns ausplündern und unseren Männern das Wahlrecht nehmen!
Ich kann es ihnen nicht vergessen! Und ich will es nicht. Auch Beau soll es
nicht vergessen. Meine Enkel will ich lehren, diese Menschen zu hassen, und
meine Urenkel auch, wenn Gott mir ein so langes Leben schenken sollte.
Scarlett, wie kannst du es nur vergessen?«
Melanie
hielt inne, um Atem zu schöpfen, und Scarlett sah sie groß an. Die bebende Gewalt
in Melanies Stimme hatte sie so erschreckt, daß sie ihren eigenen Groll darüber
vergaß.
»Wofür
hältst du mich?« fragte sie scharf. »Natürlich denke ich daran! Aber all das
ist vergangen, Melly. An uns ist es, zu retten, was zu retten ist, und das versuche
ich. Gouverneur Bullock und die besseren Republikaner können uns viel nützen,
wenn wir sie richtig behandeln.«
»Gute
Republikaner gibt es nicht«, schnitt Melanie kurz ab, »und ich brauche ihre
Hilfe nicht. Ich will auch nicht retten, was zu retten ist ... wenn es nur mit
den Yankees geht.«
»Mein
Gott, Melly, warum so bitterböse?«
»Ach
Gott!« Melanie machte ein ganz schuldbewußtes Gesicht! »Was habe ich alles nur
dahergeredet! Scarlett, ich wollte dir nicht zu nahe treten und dir auch keine
Vorwürfe machen. Alle Menschen denken verschieden, und jeder von uns hat ein
Recht auf die eigene Meinung. Sieh, Liebes, ich habe
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