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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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trat ans Fenster und blickte
lächelnd auf das aufgeregte kleine Ding hinunter, das in seinem schmutzigen
blauen Reitkleid höchst abenteuerlich aussah.
    »Ich muß
ihr wirklich ein neues machen lassen«, dachte sie. »Aber weiß der Himmel, wie
ich sie dazu bringen soll, von dem alten schmutzigen zu lassen.«
    »Mutter,
paß auf!«
    »Ich sehe
ja, Kind«, erwiderte Scarlett lächelnd, und als Rhett das Kind aufhob und in
den Sattel setzte, rief sie in aufwallendem Stolz über den geraden Rücken und
die freie Kopfhaltung Bonnies hinunter: »Fein siehst du aus, mein Liebling!«
    »Du auch«,
erwiderte Bonnie großmütig, stieß Mr. Butler den Absatz in die Weiche und
sprengte durch den Garten nach der Laube zu.
    »Paß auf,
Mutter! Jetzt nehm' ich auch diesen!« rief sie hinauf und gab Mr. Butler die
Peitsche.
    >Paß
auf! Jetzt nehm' ich auch diesen!<
    Tief unten
in Scarletts Gedächtnis schlug eine Glocke an. Die Worte hatten einen
unheilverkündenden Klang. Was war das doch? Warum kam sie nicht darauf? Sie
schaute auf ihre kleine Tochter herab, die so anmutig auf dem galoppierenden
Pferd saß, und plötzlich zogen ihre Brauen sich zusammen, und es durchfuhr sie
eiskalt. Bonnie kam herangeprescht, die krausen schwarzen Locken flogen auf,
die blauen Augen leuchteten.
    »Wie Pa's
Augen«, dachte Scarlett, »irisch blau, sie ist durch und durch wie er.«
    Bei dem
Gedanken an Gerald kam ihr die Erinnerung, nach der sie getastet hatte,
plötzlich wieder, klar wie ein sommerlicher Blitz, der auf einen Augenblick die
ganze Landschaft übernatürlich erhellt. Ihr stockte das Herz. Sie hörte eine
irische Stimme singen, hörte den harten Aufschlag rascher Hufe, die die Koppel
von Tara hinauf jagten, und eine verwegene Stimme, ganz wie die ihres Kindes,
erschallen:
    »Paß auf,
Ellen! Jetzt nehm' ich auch diesen!«
    »Nein«,
schrie sie hinunter, »nein, Bonnie, halt!« Sie hatte sich kaum zum Fenster
hinausgebeugt, da gab es auch schon ein entsetzliches Krachen von splitterndem
Holz, einen heiseren Schrei aus Rhetts Munde, am Boden einen Wirrwarr von
blauem Samt und schlagenden Hufen. Dann kam Mr. Butler wieder auf die Beine und
trabte mit leerem Sattel davon.
     
    60
     
    Am dritten
Abend nach Bonnies Tode kam Mammy mühsam die Hintertreppe zu Melanie
hinaufgewatschelt. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, von den riesigen
Männerschuhen an, die aufgeschlitzt waren, damit ihre Zehen sich frei bewegen
konnten, bis zu dem schwarzen Kopftuch. Ihre trüben alten Augen waren
blutunterlaufen und rot gerändert, jeder Zoll ihrer riesenhaften Gestalt
kündete tiefstes Weh. Ihr runzeliges Gesicht hatte den schwermütig verwunderten
Ausdruck eines alten Affen, aber um ihren Mund lag ein Zug fester
Entschlossenheit.
    Sie
wechselte ein paar leise Worte mit Dilcey, die freundlich nickte, als wäre es
in der alten Fehde der beiden zu einem stillschweigenden Waffenstillstand
gekommen. Dilcey setzte die Schüsseln fürs Abendessen, die sie trug, nieder und
ging leise durch die Anrichte ins Eßzimmer. Im nächsten Augenblick stand
Melanie in der Küche, mit angstvollem Gesicht, die Serviette in der Hand.
    »Miß
Scarlett ist doch nicht ...?«
    »Miß
Scarlett trägt es wie immer«, sagte Mammy bedrückt. »Ich wollte Sie nicht beim
Abendessen stören, Miß Melly, ich kann warten, bis Sie fertig sind, und Ihnen
dann sagen, was ich auf dem Herzen habe.«
    »Das
Abendessen kann warten«, sagte Melanie. »Dilcey, trag drinnen weiter auf.
Mammy, komm.«
    Mammy
watschelte hinter ihr her durch den Flur und das Eßzimmer, wo Ashley am oberen
Ende saß, neben ihm sein kleiner Beau, der zusammen mit Scarletts Kindern ihm
gegenüber ein ungeheures Geklapper mit den Suppenlöffeln vollführte. Wades und
Ellas frohe Stimmen füllten das Zimmer. Für sie war es ein Fest, so lange bei
Tante Melly zu Besuch sein zu dürfen. Tante Melly war immer so lieb und heute
ganz besonders. Der Tod ihrer kleinen Schwester war ihnen nicht weiter
nahegegangen. Bonnie war vom Pony gefallen, Mutter hatte lange geweint, und
Tante Melly hatte sie mit nach Hause genommen, wo sie im Hintergarten mit Beau
spielen und Teekuchen essen durften, soviel sie wollten.
    Melanie
ging in das mit Büchern vollgestellte kleine Wohnzimmer voran, schloß die Tür
und bot Mammy einen Platz auf dem Sofa an.
    »Ich
wollte ohnehin gleich nach dem Abendessen hinüberkommen«, sagte sie. »Da
Kapitän Butlers Mutter jetzt da ist, findet das Begräbnis wohl morgen früh
statt?«
    »Das
Begräbnis,

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