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Margos Spuren

Margos Spuren

Titel: Margos Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Green
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gegenseitig noch verstärkten. Es fühlte sich ein bisschen so an, als müsste mein Brustkorb zerreißen, doch es war kein ganz unangenehmes Gefühl.
     
    Ich ging kurz vor Mitternacht. Ein paar Leute waren noch da, aber ich sollte längst zu Hause sein, und außerdem hatte ich genug. Meine Mutter lag auf der Couch und schlief, aber als sie mich hörte, setzte sie sich auf. »War es schön?«
    »Ja«, sagte ich. »Es war cool.«
    »Wie du«, sagte sie lächelnd. Wieder mal eine Einschätzung, mit der sie weit danebenlag, aber ich sagte nichts. Dann stand sie auf, umarmte mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Ich bin gerne deine Mutter«, sagte sie.
    »Danke«, sagte ich.
     
    Ich nahm Whitman mit ins Bett und blätterte zu der Stelle, die mir vorher so gut gefallen hatte, wo der Erzähler den Menschen wie einer Oper lauscht.
    Nach all dem Zuhören schreibt er : »Ich bin entblößt … geschunden von scharfem, giftigem Hagel.«
    Genauso fühlte ich mich auch : Ich höre den Menschen zu, um sie mir vorstellen zu können, höre all die schrecklichen und schönen Dinge, die sie sich selbst und einander antun, und am Ende entblößt das Zuhören mich mehr als die Leute, denen ich zugehört habe.
    Beim Abklappern der Geistersiedlungen war ich weniger dem Fall Margo Roth Spiegelman auf den Grund gegangen als mir selbst. Ich fühlte mich entblößt. Entblößt und geschunden. Ein paar Seiten weiter beschreibt Whitman die Reisen, die er in seiner Fantasie unternimmt, und zählt alle Orte auf, die er, im Gras liegend, besuchen kann. »Meine Hände umfassen Kontinente.«
    Ich dachte an die Landkarten und daran, wie ich mir als Kind stundenlang Atlanten ansehen konnte. Schon das Hineinsehen war wie Verreisen. Das war es, was ich tun musste. Ich musste zuhören und mich in ihre Landkarte versetzen.
    Aber versuchte ich das nicht die ganze Zeit? Ich sah die Landkarten über dem Computer an. Ich hatte versucht, ihre möglichen Routen aufzudecken, aber genau wie das Gras, das so vieles bedeuten konnte, stand auch Margo für zu viel. Es schien unmöglich, ihr mit Landkarten auf die Spur zu kommen. Sie war zu klein, und der Raum, den die Karten abdeckten, war viel zu groß. Die Landkarten waren mehr als Zeitverschwendung – sie waren das Sinnbild meines Versagens, das Zeugnis meiner Unfähigkeit mit meinen Händen Kontinente zu umfassen, mir in meiner Fantasie das Richtige vorzustellen.
    Frustriert stand ich auf, ging zur Wand und riss die Landkarten herunter, so dass die Reißnägel durchs Zimmer flogen. Ich knüllte die Karten zusammen und warf sie in den Papierkorb. Als ich wieder ins Bett ging, trat ich wie ein Esel in einen Reißnagel, und obwohl ich genervt und erschöpft war und die Nase voll von Geistersiedlungen und Plänen hatte, musste ich die restlichen Nägel einsammeln, damit ich am nächsten Morgen nicht noch mal hineintrat. Ich hätte am liebsten mit den Fäusten gegen die Wand gehämmert, aber ich zwang mich, die Reißzwecken aufzulesen. Dann erst kroch ich ins Bett und schlug verbissen auf mein Kissen ein.
    Ich versuchte Whitman weiterzulesen, aber sein Gedicht und die Gedanken an Margo hatten mich für diese Nacht genug geschunden. Ich legte das Buch weg. Ich war zu faul, noch mal aufzustehen und das Licht auszumachen, und so starrte ich an die Wand, während mir die Augen zufielen. Wenn ich sie öffnete, sah ich die Stelle, wo die Karte gehangen hatte – vier Löcher markierten das Rechteck, die anderen waren scheinbar wahllos darin verteilt.
    Ich hatte so ein Muster schon einmal gesehen. In der Ladenzeile, über der Teppichrolle.
    Eine Karte. Mit markierten Punkten.
18
    Ich wachte mit der Sonne auf, kurz vor sieben am Samstagmorgen. Erstaunlicherweise war Radar online.
     
    QTHERESURRECTION : dachte du schläfst bestimmt noch.
    OMNICTIONARIAN96 : nee, mann. bin seit 6 wach und überarbeite den Artikel über diesen malaysischen pop-sänger. angela schläft noch.
    QTHERESURRECTION : oho. sie hat bei dir übernachtet?
    OMNICTIONARIAN96 : ja, aber meine unschuld ist noch intakt. in der nacht nach der zeugnisverleihung … vielleicht.
    QTHERESURRECTION : hatte gestern abend eine idee. die kleinen löcher in der wand draußen in dem laden – vielleicht von einer landkarte, wo sie orte mit reißzwecken markiert hat?
    OMNICTIONARIAN96 : ihre reiseroute.
    QTHERESURRECTION : genau.
    OMNICTIONARIAN96 : willst du rausfahren? muss nur warten, bis angie aufsteht.
    QTHERESURRECTION : klingt

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