Mariannes Traenen
Mutter. „ Auch du nicht! Niemand! Nicht einmal, wenn das Haus brennt, hörst du? “
Kathrin sah ihre Mutter ungläubig an. „Aber …“
„Nein!“ Und wesentlich milder: „Bitte, Kathrin, auch nicht, wenn das Haus brennt. Das ist wichtig! Ich verlasse mich auf dich!“ Dann drehte sie sich um und schloß die Tür hinter sich.
„Was war das jetzt?“ Kathrin sprach leise mit sich selbst. Sie hörte die Tür gehen und wandte sich um. „Oh! Hallo Schwiegermama!“, rief sie mit gespielter Fröhlichkeit.
„Nenn mich nicht so!“ zischte Svenja ärgerlich.
„Und wie soll ich dich dann nennen? Rotkäppchen?“ Ein auffallend großer und elegant gekleideter Herr erschien hinter Svenja Gruber in der Eingangstür. Er war gut zwei Meter groß und überragte seine Begleiterin um einen Kopf. „Ah, der Herr Von und Zu gibt sich die Ehre“, sagte Kathrin, machte einen albernen Knicks und ließ kokett die Augenlider klimpern.
„Guten Morgen, Kathrin.“ Er ließ sich vom gespielten Dienstmädchen sichtlich weniger beeindrucken als Svenja.
„Wo ist Marianne “, fragte die. „Wir haben mit ihr zu reden.“
„Im Büro.“ Kathrin deutete mit dem Kopf zur Tür. „Soll euch rein schicken.“ Mit gespieltem Desinteresse für die beiden wandte sie sich ein paar Prospekten zu, die auf dem Tresen lagen.
Der Mann trat an den Tresen, ganz nah vor sie. Als sie ihn bemerkte, mußte sie zu ihm aufschauen. Er war schon älter, vielleicht Ende fünfzig. Das Haar war auffallend schütter, und das Menjou-Bärtchen in seinem Gesicht ließ ihn geckenhaft und arrogant erscheinen.
„Was wünschen der Gnädige Herr von R hodalb?“, fragte Kathrin und sah ihn abschätzig an.
Doch er entgegnete nichts, sondern fixierte sie nur mit seinen blaßblauen Augen. Kathrin fühlte sich augenblicklich unwohl, wie immer, wenn sie dem neuen Lebensabschnittsgefährte n ihrer Schwiegermutter begegnete. Doch diesmal hielt sie seinem Blick stand. Nach ein paar Sekunden sah sie, daß ein leises Lächeln seine dünnen Lippen umspielte.
„Was glaubst du Rotznase eigentlich, wen du vor dir hast ?“, fragte er leise.
Kathrin grinste triumphierend. „Willst du die Langfassung ? Oder eine Liste? Oder reicht dir die Kurzversion?“
„Wir beide werden uns demnächst unterhalten, mein Fräulein. Und es wird mir eine besondere Freude sein, dir d einen frechen Mund auszuwaschen.“ Es war leise, aber entschieden, wie er das sagte. Und es klang bedrohlich genug, daß es Kathrin erschreckte. Eine Antwort wartete er nicht ab. „Svenja!“, sagte er knapp, dann ging er um den Tresen herum und dicht an Kathrin vorbei zum Büro.
Marianne empfing die beiden mitten im Büro stehend. „Guten Tag, Frau Gruber“, begrüßte sie Svenja, denn sie waren nicht allein. Beklommen schaute sie zu dem unbekannten Mann. Ihr Herz schlug schneller.
„ Knie! “ befahl Svenja knapp.
Augenblicklich krampfte sich Marianne der Magen zusammen. Jetzt macht sie mich zur Hure , schoß es ihr durch den Kopf. Und in ihrer Panik konnte sie nur noch eines denken: Rudolf, hilf mir! Hilflos ließ sie sich auf die Knie sinken.
„Darf ich vorstellen: Gunther von R hodalb. Für dich Gnädiger Herr .“ Sie griff Marianne in die Haare und zwang sie, zu dem Mann aufzuschauen. „Merk dir, was ich dir sage: Er hat alle Rechte über dich. Jederzeit. Wenn er im Raum ist, hast du in jedem Fall zu knien und zu gehorchen. Hast du verstanden?“
„Ja, Herrin “, antwortete Marianne mit erstickter Stimme.
„Begrüßung grundsätzlich mit Handkuß!“
Marianne sah die hagere, sehnige Hand vor ihrem Gesicht, und sie ekelte sich vor der Berührung. Voller Entsetzen und Hilflosigkeit preßte sie die Augen zusammen. Schließlich überwand sie ihren Ekel und küßte die dargebotene Hand. Marianne hörte sein leises, kaltes Lachen. Sie fühlte seine Hand, wie sie ihr Kinn faßte und sie zwang, ihm in die Augen zu schauen. Kälte lag darin. Kälte und Verachtung. Blitzschnell ließ er los und gab der Knienden eine Ohrfeige. Nicht besonders fest, aber sie traf Marianne tief in ihrer Seele.
„Wie heißt das ?“, kreischte Svenja, und ihre Stimme klang heiser.
„Danke, Gnädiger Herr!“ Tränen schossen ihr in die Augen. Oh Rudolf!
„Sehr schön. Braves Mädchen“, sagte er und setzte sich auf das Sofa. Svenja machte einen Schritt vor, doch auf ein knappes „Du nicht!“ blieb sie augenblicklich stehen.
Und Marianne kniete im Dirndl vor den beiden, mitten in ihrem Büro. Trotz
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