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Mariannes Traenen

Mariannes Traenen

Titel: Mariannes Traenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas M.
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Spiel? Will er ihr wirklich helfen? Sie sah die Ketten, die von den Bettpfosten hingen, und graute sich vor dem Gedanken, daran festgebunden zu sein. Damit ein wildfremder Mann über sie steigen und sie ohne Gegenwehr vergewaltigen könnte. Wollte Rudolf ihr überhaupt helfen?
    „Reiß dich zusammen!“ Sie warf den Napf in den Garderobenschrank und schloß die Tür. Dann befreite sie sich von den Handfesseln und steckte sie mitsamt dem Halsband in ihre Manteltaschen. Mit dem Handtuch, mit dem sie den Napf abgetrocknet hatte, wischte sie auch ihren Schweiß von dem roten Leder. Gründlich, geschäftig, so als würde sie im Restaurant einen Tisch herrichten. Sie nahm die Champagnerflasche, noch gut ein Drittel voll. Sie hätte gerne einen Schluck davon getrunken. Aber aus einer Flasche zu trinken, wäre ihr im Traum nicht eingefallen. Und davor, aus Svenjas Glas zu trinken, ekelte sie sich. Und sei es nur aus Versehen. Svenja hatte ihr klar und deutlich gezeigt, was sie von ihr zu halten hatte: Sie war boshaft. Boshaft und von blinder Rachsucht zerfressen. Svenja versteckte ihre Unsicherheit und Hilflosigkeit hinter Brutalität und Gewalt. Und sie, Marianne, war das Opfer.
    Sie schlüpfte in ihren Mantel, griff sich Flasche und Gläser und verließ das Zimmer. Erst auf der Treppe bemerkte sie, daß sie leicht beschwipst war. Insgeheim hatte sie gehofft, daß Rudolf sie in ihrer Wohnung erwarten würde. Er hatte sie um ihren Zweitschlüssel gebeten. Doch in der Wohnung war alles dunkel. Sie räumte die Sektgläser in die Spülmaschine und den Rest Champagner in den Kühlschrank. Mantel und Pumps in die Garderobe, dann ging sie unter die Dusche.
    Das warme Wasser, das über sie herab strömte, entspannte sie. Es war eine Berührung, die nicht ihr galt, und das half ihr, nicht länger über die Ereignisse des Abends nachzudenken. Sie wollte nicht mehr nachdenken, wollte nicht mehr versuchen, es zu begreifen, was da mit ihr geschah. Stattdessen wusch sie die Erniedrigungen des Abends mit Kernseife von sich ab. Nur als sie sich an ihrer Intimsten Stelle wusch, konnte sie sich für einen kurzen Moment nicht dem entziehen, was gerade mit ihr geschehen war. Rudolf hatte recht: Sie fühlte sich weich an, seit er sie rasiert hatte. Zart war sie geworden, offen und verletzlich. Und so sehr sie sich sonst bemühte, elegant und sportlich aufzutreten – ihre nun so nackte, mädchenhafte Scham verriet überdeutlich, welche Macht ein Mann über ihre Gefühle haben konnte, und wie wenig sie dem entgegenzusetzen hatte. Aber wollte sie das überhaupt?
    Sie vertrieb die Gedanken gleich wieder mit dem Frottee-Handtuch, mit dem sie sich trocken rieb. Kräftige, massierende Bewegungen. Sie fühlte die frischen Striemen über ihrem Po, doch sie versuchte sich in demonstrativer Gleichmut sich selbst gegenüber. Was konnte sie schon tun? Für mindestens zwei Wochen würden die Striemen ihre ständigen Begleiter sein, hatte Rudolf ihr angekündigt. Zwei Wochen lang würde sie es ertragen müssen , daß man sie regelmäßig schlug. Nur zwei Wochen, redete sie sich ein. Sie hatte in ihrem Leben schon schlimmere Schmerzen ertragen müssen.
    Sie fönte sich mit raschen Bewegungen das dunkelbraune Haar, und betrachtete sich dabei im Spiegel. Große, braune Augen, dunkle Brauen, elegant geschnittene Wangen, ein voller, sinnlicher Mund. Du bist schön , dachte sie sich. Rudolf hat recht. Du mußt dir klarmachen, daß du schön bist, und daß sie dir im Grunde nichts anhaben können. Egal, was sie mit dir tun – das können sie nicht zerstören. Und für einen Moment gab sie sich dem unsinnigen Stolz hin, daß die Männer, denen man sie ausliefern würde, niemals die Macht haben würden, sie freiwillig dazu zu bringen, sich ihnen hinzugeben. Diese Typen könnten sie nur haben, solange sie in Ketten lag.
    „Reiß dich zusammen, Marianne !“, schalt sie sich laut. Sie wollte diese Gedanken nicht haben. Sie fühlte sich müde. Wohlig müde, wie sie feststellte. Zum ersten Mal, seit ihr Alptraum begonnen hatte, fühlte sie weder Angst noch Erregung. Schnell schlüpfte sie in einen ihrer geliebten Flanell-Pyjamas, putzte sich die Zähne, bereitete noch rasch die Kaffeemaschine vor und rollte sich dann in ihrem Bett zusammen. Den Fernseher hatte sie eingeschaltet und den Ton leise gedreht. Es gab ihr die Illusion, nicht völlig alleine zu sein. Hier war sie sicher. Heute abend würde man ihr nichts mehr tun. Die Müdigkeit umfing sie immer mächtiger.

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