Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Gegend, auf die Suche nach dem Heiligen Gral und so weiter und so fort, dann wird den Leuten bald der Kopf schwirren. Sie werden nie dahinterkommen, was uns die Pergamente wirklich offenbart haben. Und irgendwann einmal, vielleicht in hundert Jahren, heißt es dann, dass es sich bei dem Geheimnis von Rennes-le-Château um den größten Treppenwitz des Jahrhunderts gehandelt hat. ´Dieser Saunière`, wird man sagen, ´hat ganz sicher irgendwo und irgendwann einen Schatz entdeckt, wo soll er sonst das viele Geld für seine Verrücktheiten hergehabt haben; aber im übrigen kann er nicht recht bei Trost gewesen sein.` Dann, Marie - dann sind wir am Ziel! Dann ist die Arkandisziplin gewahrt, das Verborgene geschützt auf ewig.“
„Schön und gut. Wenngleich ich noch immer keine Ahnung habe, welcher Sache ihr eigentlich auf der Spur seid. Jagt ihr beide, du und Boudet, nicht einem Hirngespinst hinterher?“
„Hirngespinst! Du weißt nicht, wovon du sprichst. Wir wissen genau, was wir suchen. Uns fehlt nur der Ort und das letzte Glied in der Beweiskette. Nur das letzte Glied.“
„Aber was genau sucht ihr? Womit, um alles in der Welt, beschäftigt ihr euch seit Jahren? So sag es mir doch endlich! Wie soll ich dir helfen, wenn du mich nicht einweihst!“
Bérenger kam auf mich zu, nahm erneut meine Hände in die seinen und starrte mich mit seltsamem Blick an.
„Bei aller Zuneigung, Marie: Du musst mir ganz einfach vertrauen. Ich kann dir dieses Geheimnis heute nicht enthüllen, und ich kann dir auch nicht versprechen, dass ich dich jemals einweihen werde. Es muss streng unter uns Priestern bleiben, unter Priestern , verstehst du! Wir haben uns dies geschworen.“
Ich schwieg. Sah ihn nicht an, rührte mich nicht. Er schritt zum Fenster und starrte in den Garten hinaus. Arkandisziplin? Dass ich nicht lachte! Die Sache mit dem Diamanten war mir nicht fremd. Hatte er doch auch das schwarze Buch unter den anderen, gleichaussehenden Kasualbüchern verborgen.
Aber was war mit Didier Laforche? Was mit dem Gendarmen? Ich trat an seine Seite und öffnete das Fenster einen Spalt, um zu lüften. Es war ein trüber Tag. Ein Rotkehlchen saß auf dem Sims und sah uns erstaunt an. Anatole France, von dem ich kürzlich etwas gelesen hatte, hat recht, dachte ich bei mir, es liegt in der Natur der Menschen, vernünftig zu denken und zugleich unvernünftig zu handeln. Ich jedoch würde mich nicht von dieser Geheimgesellschaft ausbooten lassen, sondern Mittel und Wege finden, bei dem Tanzfest der Dämonen, bei der Suche nach den verdammten blauen Äpfeln mitzumischen, auch wenn Bérenger mir sein „Journal intime“ wieder vorenthielt.
Fürs erste jedoch trat ich den Rückzug an, streichelte zärtlich Bérengers Rücken.
„Bérenger, verzeih, ich verspreche dir, dich zukünftig mit meinen Fragen nicht mehr zu belästigen. Du kannst dich auf mich verlassen. Sag mir einfach, wie ich mich verhalten soll, ich werde es dann schon richtig machen.“
Bérenger nickte und sog tief die frische Luft in seine Lungen. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Das Rotkehlchen flog in den Garten zurück.
28
„Wie Silberflut glänzt seines Bartes Wallen ...“
Viktor Hugo , Der Schlaf des Boas
Ungefähr zwei Wochen darauf platzte ich an einem Samstagnachmittag in Bérengers Studierzimmer, um ihm auszurichten, dass der Vater des Bauern Dalmas im Sterben liege.
Ich fand ihn über ein Gemälde gebeugt, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Bérenger, in Seelsorgefällen ein überaus verantwortungsbewusster Diener seiner Kirche, ließ alles stehen und liegen und eilte, um dem Alten die Letzte Ölung zu erteilen.
Ich zögerte keinen Augenblick. Er hatte die Tür zu seinem Zimmer zwar abgeschlossen, den Schlüssel jedoch steckenlassen. Ich schlich mich hinein. Und da lag es, das Bild, auf dem schwarzen Tuch, mit dem es wohl verhüllt gewesen war. Es musste eines der Bilder sein, die er seinerzeit aus Paris mitgebracht hatte. Ich trat heran und erkannte – in düsteren Farben gemalt – drei Hirten, die sich ernsthaft mit einer Inschrift auf einem Grabmal beschäftigten, ja sogar mit dem Zeigefinger darauf deuteten. Hinter ihnen stand eine Schäferin, die in ihrer lockeren Haltung und wissenden Miene ganz den Eindruck machte, als ob sie in das Geheimnis der Inschrift – oder in welches Geheimnis auch immer – eingeweiht wäre.
Seltsam. Ich hatte dieses Gemälde noch nie gesehen, und dennoch kam es mir bekannt vor. Ein so
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