Marissa Blumenthal 02 - Trauma
Holzstühle. An einem spielten ein paar alte Männer Mah-Jongg.
Rutschend stoppte Tristan und zog Marissa in das winzig kleine Restaurant, wobei sie einige Tische umwarfen. Mah-Jongg-Steine flogen auf den rohen Holzfußboden.
Gleich darauf hatten die Verfolger sie eingeholt. Sie waren ebenso außer Atem wie Marissa und Tristan. Einige hatten mit entschlossenen Gesichtern ihre Messer gezogen.
Tristan schob Marissa hinter sich in eine Ecke und nahm dann die Kung-fu-Ausgangsstellung ein, da er erwartete, daß sich einer der jungen Chinesen auf ihn stürzen würde.
Statt dessen waren wieder alle erstarrt. Auch die älteren Gäste, die sich an eine Wand drängten, hatten sich so weit von dem Tumult entfernt wie möglich. Die chinesischen Jugendlichen schienen von Tristans drohender Haltung beeindruckt zu sein, wenn nicht gar Angst zu haben. Der muskulöse Bursche trat vor.
Tristan betrachtete ihn mißtrauisch. »Freundlich seid ihr nicht gerade«, sagte er, im Bemühen, die Lage zu entschärfen. »Aber wir verlassen die Eingemauerte Stadt gern. Ihr braucht uns nur den Weg zu zeigen.«
»Für eine kleine Schmiere zeigen wir euch, wie es rausgeht«, sagte der junge Mann.
»Schmiere?« fragte Tristan.
»Geld«, sagte der junge Mann. »Euer restliches Geld. Und eure Armbanduhren.«
»Dann laßt ihr uns gehen?« fragte Tristan. »Und zeigt uns, wo es rausgeht?«
»Ja«, sagte der junge Chinese. »Dann betrachten wir eure Schuld als bezahlt.«
Wie um ihre Aufrichtigkeit zu beweisen, ließen die Jugendlichen, die Messer gezogen hatten, diese ein wenig sinken.
Tristan griff erneut nach seiner Brieftasche, holte sie hervor, entnahm ihr alles Geld, das noch drin war, und legte es auf den nächststehenden Tisch. Dann schnallte er die Armbanduhr ab und legte sie auf die Banknoten.
»Und die Uhr der Frau«, sagte der muskulöse Mann.
»So benimmt sich aber kein Kavalier«, sagte Tristan. Der Mann grinste höhnisch. »Auf den Tisch damit!«
»Tut mir leid, meine Liebe«, sagte Tristan und hielt Marissa die Hand hin. Auch sie legte ihre Armbanduhr ab und reichte sie Tristan.
Sie war ein Geschenk Roberts. Er legte sie zu dem kleinen Haufen auf dem Tisch.
Der junge Mann trat vor und nahm Geld und Uhren an sich. Das Geld verteilte er dann hastig unter den anderen. Die Uhren steckte er selber ein.
»Da wir gerade auf gutem Fuß miteinander stehen«, sagte Tristan,
»was wißt ihr von den Wing Sin? Gehört ihr vielleicht sogar zu dieser berühmten Organisation?«
»Nein«, knurrte der Anführer. »Wir sind die Wo Sing Wo. Die Wing Sin sind Schweine.« Und er spuckte aus.
»Hast du eine Idee, wo wir diese Schweine treffen können?« fragte Tristan.
Der Mann wandte sich ab, um mit einem seiner Spießgesellen zu diskutieren. Nach einer Weile sagte er dann: »Tse Mau wird euch zeigen, wie man aus der Eingemauerten Stadt rauskommt. Und kommt ja nie wieder her!« Einer der Schläger trat vor und starrte Tristan drohend an.
»Nach dieser herzlichen Begrüßung«, sagte Tristan, »kann ich dir versichern, daß wir nicht wieder herkommen werden.«
Die jungen Chinesen machten für Marissa und Tristan ein wenig Platz. Tristan reichte ihr die Hand nach hinten und ging mit ihr los.
»Au!« schrie Marissa. Einer der Jugendlichen hatte sie in eine Brust gekniffen. Tristan wirbelte herum, doch Marissa schob ihn vorwärts.
Rasch ging es weiter durch das Labyrinth. Der junge Chinese blieb immer fünf, sechs Schritte voraus. Gesprochen wurde nicht mehr. Nachdem sie ein halbes dutzendmal um Ecken gegangen waren, fürchtete Marissa schon, daß man sie nicht hinausführte, sondern immer weiter hinein. Doch nach einer weiteren Biegung führte der Gang auf einmal in die kühle Nachtluft. Wie ein Leuchtturm tauchten auf der anderen Seite die hell erleuchteten Schaufenster des Zahnarztes auf. Sogar die schrille chinesische Radiomusik klang Marissa nun, da sie wieder im Freien waren, angenehmer in den Ohren.
Tse wollte wieder zurück in den Gang. Da rief Tristan ihn beim Namen an. Der Mann drehte sich um.
»Sprichst du englisch?« fragte Tristan.
»Ja«, sagte er hochmütig. Marissa schätzte ihn auf ungefähr Zwanzig. Er zählte wohl zu den älteren Mitgliedern der Gruppe.
»Das macht es mir leichter«, sagte Tristan. »Ich wollte dich um einen Gefallen bitten. Wir sind im Augenblick ein bißchen knapp bei Kasse, weißt du. Ich weiß, daß du unten in dem Rattenloch gerade etwas kassiert hast. Würdest du uns ein bißchen davon
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