Marissa Blumenthal 02 - Trauma
Laufschritt in schnelles Gehen. Er wollte vermeiden, daß er durch zu große Hast Aufmerksamkeit erregte. Sein Ziel war die belebte Anlegestelle der Star-Fähren. Dort fand er zu seiner Erleichterung Hunderte von Menschen vor, die auf das sich eben dem Pier nähernde Fährschiff warteten. Hier konnte er mit Leichtigkeit in der Menge untertauchen.
Zuerst durften die Passagiere für Kowloon aussteigen. Danach konnten die Wartenden an Bord gehen. Willy ließ sich von der Menschenflut mitschwemmen.
Wie die Mehrzahl der Laute blieb er auf dem Unterdeck, wo er sich in der Nähe einer großen Familie aufhielt und so tat, als gehörte er dazu. Niemand schien von seiner Anwesenheit Notiz zu nehmen. Nach der kurzen, zehnminütigen Fahrt ging Willy an Land und schritt zum Hotel Mandarin hinauf.
Da das Mandarin zur selben Kategorie wie das Peninsula gehörte, wußte Willy, daß er dort ohne weiteres ein Überseegespräch führen konnte. Das Problem bestand nicht in dem Telefonat selbst, sondern darin, daß es für ihn unangenehm verlaufen würde. Es war Willys erster großer Fehlschlag gewesen, und er war alles andere als zufrieden.
Bevor er in das Hotel hineinging, betrachtete er sein Spiegelbild in einem Schaufenster, brachte seine Kleidung in Ordnung und kämmte sich die Haare. Als er glaubte, er könne sich wieder sehen lassen, betrat er das Foyer. Eine Treppe tiefer fand er neben der Herrentoilette eine Reihe von Telefonkabinen. Er holte tief Luft und rief dann Charles Lester an.
Sobald Lester sich gemeldet hatte, sagte Willy: »Die Blumenthal ist hier.«
»Ich weiß«, sagte Lester. »Ned hat es schon von der Einwanderungsbehörde erfahren. Sie hat eine Maschine von Brisbane aus genommen.«
»Ich habe vor wenigen Minuten eine Konferenz mit den interessierten Parteien einzuberufen versucht«, sagte Willy in der Codesprache, die sie verabredet hatten, da sie möglicherweise abgehört würden.
»Aber es ging schief. Ich hatte keinen Erfolg. Dieser Williams erwies sich als unkooperativ und hat das Treffen eigenhändig abgesagt, bevor ich mein Material zum Einsatz bringen konnte.«
Eine Flut australischer Schimpfworte kam über die Leitung. Willy nahm den Hörer vom Ohr weg. Erst als er merkte, daß Lesters Stimme einen einigermaßen normalen Tonfall annahm, hielt er den Hörer wieder ans Ohr.
»Die Lage verschlimmert sich mehr und mehr«, beklagte sich Lester.
»Jetzt eine neue Konferenz einzuberufen, würde noch viel schwerer zu bewerkstelligen sein«, gab Willy zu. »Alle warten ja nur darauf. Aber wenn Sie es wünschen, werde ich mein Bestes tun und es versuchen.«
»Nein«, sagte Lester. »Ich schicke Ned rüber. Er soll die Konferenz zustande bringen. Er hat mehr Erfahrung. Von dir erwarte ich nur, darauf zu achten, daß die Kunden nicht abreisen. Halte das Hotel im Auge! Wenn sie in ein anderes umziehen, mußt du ihnen folgen. Es würde das Problem noch weiter erschweren, wenn wir den Kontakt mit der Blumenthal in Hongkong verlören.«
»Ich habe leider auch das Material eingebüßt, das ich ihnen zeigen wollte«, sagte Willy. »Es blieb am Schauplatz der Konferenz zurück.«
»Dann mußt du dir neues besorgen«, sagte Lester. »War das, was du hattest, angemessen?«
»Es war sehr gut«, sagte Willy. »Voll und ganz geeignet.«
Der Polizeiinspektor der Royal Hongkong Police war, wie Tristan es anschließend Marissa gegenüber beschrieb, ein »verfluchter Pom«. Mit seinem grauen Teint und dem ausgebeulten englischen Anzug samt Weste und Uhrkette hatte er sogar britisch ausgesehen. Er und Tristan hatten sich im Büro des Geschäftsführers im Hotel Peninsula gegenübergesessen.
»Gehen wir alles noch einmal durch!« sagte der Inspektor, indem er nach englischer Art ab und zu Silben verschluckte. »Sie hatten gerade Ihren Safeschlüssel abgegeben, als Sie diesen fernöstlich aussehenden Gentleman auf sich zukommen sahen.«
»Das stimmt, Kumpel«, sagte Tristan. Er wußte, daß seine witzige australische Ausdrucksweise dem Inspektor auf die Nerven gehen würde, und quälte ihn deshalb vorsätzlich. Denn der Polizeiinspektor fiel ihm jetzt schon seit fast zwei Stunden auf die Nerven.
Dabei versuchte Tristan noch, Geduld zu bewahren. Er kannte ja den Grund für das Aufhebens, das der Inspektor von dem Vorfall machte. Die Polizei hatte es nicht gern, wenn es Schwierigkeiten in einem Gebiet gab, das wichtig für den Tourismus war, und schon gar nicht in einem Luxushotel wie dem Peninsula.
«… in
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