Marissa Blumenthal 02 - Trauma
gemeint«, sagte Tristan. Dann lächelte er verlegen und wandte den Blick zur Tür. »Wo zum Teufel bleibt das Essen? Ich habe einen Mordshunger.«
Während des Essens fiel ihnen Freddie ein, der Fahrer der Luxuslimousine. Sie machten sich Gedanken darüber, was wohl aus ihm geworden war. Hoffentlich war ihm nichts zugestoßen. Daß er in die Entführung verwickelt gewesen war, glaubten sie nicht. Doch andererseits hatte in Hongkong alles seinen Preis.
»Beim Thema Freddie fällt mir noch etwas ein«, sagte Tristan.
»Wenn wir die Sache weiter durchziehen wollen, müssen wir einen anderen Wagen mieten und dazu einen Fahrer, der gleichzeitig als Leibwächter einspringen kann.«
»Und der kantonesisch spricht«, fügte Marissa hinzu. »Das wäre uns schon bei mehreren Gelegenheiten zugute gekommen.«
»Wenn wir Glück haben, läßt er uns im Kofferraum mitfahren«, sagte Tristan spöttisch.
Marissa mußte lächeln. Wie Tristan bei all dem seinen Sinn für Humor behielt, ging über ihren Verstand.
Nach dem Essen schoben sie den Tisch zur Seite und setzten sich wieder ans Fenster. Marissa nippte an ihrem Weinglas, und Tristan machte sich über eine weiter Dose von Fosters Lagerbier her, die das Hotel für ihn aufgetrieben hatte.
Marissas Gedanken wanderten zu dem Vorfall im Foyer zurück.
»Wenn der Chinese da unten derselbe Mann war, der in Australien die Fischköder ins Wasser geschüttet hat, dann muß er im Dienst von Female Care Australia stehen.«
»Das nehme ich an«, sagte Tristan.
»Die wollen uns wirklich aus dem Weg schaffen. Sie müssen verzweifelt sein, sonst hätten sie nicht versucht, uns in aller Öffentlichkeit zu erschießen. Bei Wendy haben sie sich noch große Mühe gegeben, es wie einen Unfall aussehen zu lassen.«
»Das Komische daran ist«, sagte Tristan, »daß sie glauben, wir wüßten mehr, als wir wirklich wissen. Wenn ich an ihrer Stelle wäre
und wüßte, wie wenig wir wissen, würde ich mich überhaupt nicht um uns kümmern.«
»Vielleicht haben sie weniger Angst vor dem, was wir wissen, als davor, was wir noch herauskriegen könnten«, sagte Marissa seufzend. »Ich frage mich, wie er uns aufgespürt hat.«
»Das ist auch eine gute Frage«, sagte Tristan.
»Vielleicht sollten wir in ein anderes Hotel umziehen.«
»Das würde wohl nicht viel ausmachen«, sagte Tristan. »In dieser Stadt scheint es einen Untergrund-Nachrichtendienst zu geben. Nimm zum Beispiel den Inhaber des Teezimmers! Ganz offensichtlich hat er die Wing Sin davon benachrichtigt, daß wir uns bei ihm aufhielten. Wenn wir jetzt in ein anderes Hotel ziehen, möchte ich darauf wetten, daß das auch nicht lange verborgen bleibt. Zumindest ist hier jetzt der Sicherheitsdienst auf dem Posten. Wenn der Kerl, der uns überfallen wollte, noch einmal zurückkäme, würden sie ihn erkennen.«
»Trotzdem müssen wir aber sehr vorsichtig sein«, sagte Marissa.
»Vor allem morgen früh, wenn wir uns mit dem Mann im weißen
Anzug treffen.«
»Genau daran habe ich auch gedacht«, sagte Tristan. »Wir können wohl annehmen, daß er zu der Partei halten wird, die ihm am meisten Schmiergeld zahlt. Vielleicht wird es uns mehr als die vereinbarten
10.000 Hongkong-Dollar kosten.«
»Kannst du dir das überhaupt leisten, Tris?« fragte Marissa. Tristan lachte. »Es ist doch nur Geld.«
15
19. April 1990
8.47 Uhr vormittags
Im Sonntagsanzug und mit einem Blumenstrauß in der Hand wanderte Ned Kelly die Salisbury Road entlang und sog begierig alle Eindrücke auf. Er war schon früher zu verschiedenen Anlässen in Hongkong gewesen. Wie immer genoß er das farbenfrohe Bild der Stadt. Er war gestern erst spät in der Nacht eingetroffen und, dank Charles Lester, im Hotel Regent abgestiegen. Noch nie hatte Ned in einem solchen Luxushotel gewohnt. Er bedauerte nur, daß er durch sein spätes Eintreffen nichts mehr von dem kribbelnden Nachtleben des Viertels Tsim Sha Tsui miterlebt hatte.
In der Nähe des Hotels Peninsula begann er in den parkenden Autos nach Willy Tong Ausschau zu halten. Damit handelte er nach den Anweisungen. Er fand ihn schließlich in einem grünen Nissan Stanza sitzen, der vor dem Raumfahrtmuseum direkt gegenüber dem Hotel parkte. Ned öffnete die Beifahrertür und setzte sich neben Willy.
»Du siehst umwerfend aus, Kumpel«, sagte Willy. »Die Blumen sind für mich?«
»Ich sehe wirklich gut aus, stimmt’s?« sagte Ned, sehr zufrieden mit seinem Jackett von Harris, der Gabardinehose
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