Marissa Blumenthal 02 - Trauma
wieder nichts!«
Tristan griff nach ihrer Hand. »Nun kann niemand mehr behaupten, wir hätten nicht alles versucht«, sagte er.
Sie hatten sich gerade eine halbe Stunde lang ausgeruht, da schreckte sie ein dröhnendes Geräusch in der Ferne, das rasch lauter wurde, wieder auf. Nach der überstandenen schweren Prüfung noch aufs höchste empfindlich, schauten sie einander tief betroffen an. Der Lärm wurde immer lauter und nahm einen merkwürdigen pulsierenden Klang an.
Schließlich kam Tristan darauf, worum es sich handelte.
»Ein Hubschrauber!« schrie er. »Alle unter die Bäume!«
Kaum hatten sie sich in höchster Eile unter dem Laub verborgen, als ein großer Militärhubschrauber über sie hinwegdonnerte. Er flog in der Richtung des verschwundenen Patrouillenboots aufs Meer hinaus.
Nach einer Weile verließen sie das schützende Laubwerk und starrten dem Flugzeug nach, das jetzt nicht viel größer als ein Stecknadelkopf am blaßblauen Himmel zu sehen war.
»Meinst du, daß sie uns gesehen haben?« fragte Marissa.
»Nee«, sagte Tristan. »Mich wundert nur, daß sie nicht das ganze Hongkong-Geld entdeckt haben, das ich auf dem Strand ausgebreitet habe.«
Nachdem sich alle von der kalten Schwimmtour ausgeruht fühlten, begannen sie ihren Marsch durch das Sumpfgebiet. In der Meinung, Tse kenne sich hier aus, überließen ihm die drei anderen den Vortritt. Zuerst ging es nur durch sumpfiges Gras. Aber bald mußten sie auch tiefere Bäche durchwaten.
Bis zur Hüfte im Wasser, den halbgetrockneten Geldgürtel hoch über den Kopf haltend, fragte Tristan: »Gibt es hier Krokodile?«
»Keine Krokodile«, sagte Bentley. »Dafür aber Schlangen.«
»Und was kommt als nächstes?« fragte Marissa mit Galgenhumor. Doch sie bekamen keine Schlangen zu Gesicht. Dafür um so mehr Insekten. Als sie sich dem stark bewaldeten, höher gelegenen Land näherten, fielen ganze Schwärme über sie her. Ängstlich erkundigte sich Marissa bei Tse nach Malaria und Denguefieber.
»Malaria kommt immer wieder vor«, sagte Tse. »Aber von Denguefieber ist mir nichts bekannt.«
»Da kann man nichts machen«, sagte Marissa. Bei so vielen Gefahren konnte man sich nicht über alles den Kopf zerbrechen. »Alles hat seine guten Seiten. Wir hatten schließlich Glück, daß wir unversehrt von der Dschunke entkommen sind. Für das kommunistische Patrouillenboot können wir Gott danken.«
»Das ist die richtige Einstellung«, sagte Tristan.
»Und diesmal haben wir sogar unsere Armbanduhren behalten dürfen«, fuhr Marissa fort.
Tristan lachte. Er war froh darüber, daß Marissa nach all diesen Abenteuern noch Humor zeigte.
»Hast du den Weißen im Bug des Motorboots wiedererkannt?« fragte ihn Marissa. »Er war einer von den beiden, die Fischköder über Bord geworfen haben, bevor Wendy den Tod fand.«
Sie erreichten den Rand des Sumpfgebiets und mußten nun durch dichte Vegetation aufwärtssteigen. Von den Ästen der Bäume hingen Kletterpflanzen herab. So kamen sie nur langsam vorwärts. Schon eine Strecke von hundert Metern strengte an. Dann hörten die Bäume plötzlich auf, und sie standen vor einem Reisfeld.
»Jetzt weiß ich, wo wir sind«, sagte Tse. »Vor uns liegt ein kleines Bauerndorf. Vielleicht sollten wir da hingehen und uns etwas zu essen besorgen.«
»Wie sollen wir das machen?« fragte Tristan. »Akzeptieren die denn da Kreditkarten?«
»Sie haben doch Geld«, sagte Tse.
»Die nehmen Hongkong-Dollar entgegen?« fragte Tristan.
»Auf jeden Fall«, sagte Tse. »In der gesamten Provinz Guangdong wird mit Hongkong-Dollars schwarzgehandelt.«
»Müssen wir uns in diesem Dorf vor den Behörden in acht nehmen?« fragte Tristan.
»Nein«, sagte Tse. »Polizei gibt es da nicht. Polizei gibt es erst in Shigi.«
Tristan wandte sich an Bentley. »Was sehen Sie als unser größtes Problem in der Volksrepublik China an? Visa haben wir ja schließlich.«
»Nur zwei Dinge«, sagte Bentley. »Sie haben erstens keinen Einreisestempel und zweitens keine Einreisedokumente. Man muß nämlich eine Zollerklärung mit sich führen. Dieses Formular hat man dann beim Verlassen der Volksrepublik abzugeben.«
»Aber solange wir hier sind, wird uns keiner belästigen?« fragte Tristan. »Ich dachte, der erste Blaue, dem wir begegnen, würde uns am Schlafittchen nehmen.«
Alle sahen ihn verständnislos an. »Was ist denn los?« fragte er.
»Was ist ein Blauer?« fragte Marissa.
»Ein Polizist«, sagte Tristan. »Bin ich denn
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