Marissa Blumenthal 02 - Trauma
gesprochen hatte, keinen neuen Samen mehr abliefern zu wollen. Vielleicht hatte er seinen Samen woanders verspritzt.
»Mrs. Buchanan!« rief eine Schwester von der offenen Tür her. Sie winkte Marissa, ihr zu folgen.
Marissa erhob sich. Sie hatte die Schwester erkannt. Es war Mrs. Hargrave.
Die Frau legte einen Umhang, das hinten offene Nachthemd und die Pantoffeln für Marissa hin und fragte sie in munterem Ton: »Na, sind Sie bereit, die Eizellen zur Verfügung zu stellen?« Sie sprach
mit englischem Akzent, ähnlich wie Dr. Wingate. Einmal hatte Marissa sie danach gefragt und hatte zu ihrer Verwunderung erfahren, daß Mrs. Hargrave nicht Engländerin, sondern Australierin war.
»Offen gesagt, habe ich im Augenblick nicht die geringste Lust dazu«, gab Marissa niedergeschlagen zu. »Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich mir das alles antue.«
»Wir sind wohl etwas deprimiert, wie?« fragte Mrs. Hargrave so sanft, wie es ihr möglich war.
Marissa gab keine Antwort, sondern seufzte nur. Dann nahm sie die Kleidungsstücke von Mrs. Hargrave in Empfang und wollte in die Umkleidekabine gehen. Mrs. Hargrave legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Möchten Sie sich ein wenig aussprechen?«
Marissa sah der Frau ins Gesicht. Aus den graugrünen Augen leuchtete ihr warmes Mitgefühl entgegen.
Marissa kämpfte wieder gegen aufsteigende Tränen an und konnte zuerst nur den Kopf schütteln.
»Es ist ganz normal, daß die künstliche Befruchtung für die Beteiligten seelische Probleme mit sich bringt«, sagte Mrs. Hargrave. »Aber im allgemeinen hilft es ihnen, wenn sie sich einmal aussprechen können. Nach unseren Erfahrungen liegt das Problem zum erheblichen Teil darin begründet, daß sich die Paare von allen anderen isoliert fühlen.«
Marissa nickte zustimmend. Robert und sie fühlten sich isoliert. Unter dem wachsenden Druck, der auf ihnen lastete, hatten sie mehr und mehr den Umgang mit Freunden vermieden, vor allem mit denen, die Kinder hatten.
»Gibt es vielleicht auch Probleme zwischen Ihrem Mann und Ihnen?« erkundigte sich Mrs. Hargrave. »Ich will mich Ihnen nicht aufdrängen, aber wir haben wirklich festgestellt, daß den Paaren im allgemeinen Offenheit am besten hilft.«
Wieder nickte Marissa und warf einen Blick auf Mrs. Hargraves verständnisvolle Miene. Ja, sie hatte den Wunsch, sich auszusprechen. Mit dem Handrücken wischte sie ein paar Tränen ab und erzählte ihr von Roberts anfänglicher Weigerung heute morgen, sich weiterhin zu beteiligen, und von dem darauf folgenden Streit. Sie sagte Mrs. Hargrave auch, daß sie schon daran denke, die Behandlung abzubrechen.
»Für mich ist es echt die Hölle«, sagte Marissa. »Und für Robert auch.«
»Dazu kann ich nur sagen, daß Sie unnormal wären, wenn es anders sein würde«, sagte Mrs. Hargrave. »Dies bedeutet für alle Streß, auch für das Personal. Aber Sie müssen sich wirklich bemühen, offen miteinander umzugehen. Es wäre gut, mit anderen Paaren, die in der gleichen Lage sind, ins Gespräch zu kommen. Das würde Ihnen dazu verhelfen, ehrlicher miteinander umzugehen und zu erkennen, wo die Grenzen des Partners liegen.«
»Wir warten auf Mrs. Buchanan!« rief eine andere Schwester aus dem Ultraschallraum.
Mrs. Hargrave drückte Marissa aufmunternd die Schulter. »Gehen Sie jetzt hinein!« sagte sie. »Aber danach komme ich wieder, und wir setzen unser Gespräch fort. Was halten Sie davon?«
»Okay«, sagte Marissa und gab sich Mühe, ein wenig Begeisterung dafür aufzubringen.
Eine Viertelstunde später lag Marissa wieder in dem Ultraschallraum und sah sich vor einer weiteren schmerzhaften und risikoreichen Behandlung. Mit ausgestreckten Beinen lag sie auf dem Rücken. In wenigen Minuten würde man ihre Beine anheben und in die nur zu bekannten Beinstützen einhängen. Dann würde sie desinfiziert und örtlich betäubt werden. Schon bei dem Gedanken daran zog sich alles in ihr zusammen.
Allein das Zimmer machte ihr angst, diese kalte, abstoßende, futuristische Einrichtung mit den vielen elektronischen Geräten, von denen Marissa einige bekannt waren, andere dagegen nicht. Zahlreiche Röhrenkathoden-Bildschirme waren in die Geräte eingebaut. Sie konnte schon dankbar sein, daß wenigstens die dreißig Zentimeter lange Nadel für die Eizellenentnahme nicht zu sehen war.
Die medizinisch-technische Assistentin war damit beschäftigt, die Behandlung vorzubereiten. Noch war Dr. Wingate, der die meisten Behandlungen auf dieser
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