Marissa Blumenthal 02 - Trauma
zu beunruhigen«, sagte Paul. »Ich habe alles im Griff. Nur die Ruhe, ich kriege es schon heraus… Ah, jetzt kommt Ihre Frau gerade raus! Ich muß los.«
Paul hängte auf und ging schnell über die Straße zu seinem Wagen. Er hatte ihn so geparkt, daß er von dort sowohl den Wagen der Frauen als auch den des Asiaten im Auge hatte. Sobald Marissa und Wendy losfuhren, fuhr auch der Asiate ab.
»Damit ist es klar«, murmelte Paul vor sich hin und zog seinen Wagen aus der Parkschlange. Im Fahren notierte er sich das Kennzeichen des Asiaten. Am Montag würde er seinen Freund beim Straßenverkehrsamt anrufen und den Besitzer feststellen lassen.
»Man könnte denken, wir wollten eine Bank ausrauben«, sagte Wendy, »so rast mein Puls.« Marissa und sie stiegen aus. Es war ein dunkler, windiger Abend.
»Meiner auch«, sagte Marissa und schlug die Wagentür zu. »Daran ist nur Robert mit seinem Gerede über Verbrechen schuld.«
Sie hatten den Wagen auf dem jetzt leeren Personalparkplatz der Klinik abgestellt. Vorgebeugt gegen den Wind und mit der Hand den Kragen vorn zuhaltend, gingen sie zum Hof der Klinik. Dort blieben sie kurz stehen. Drinnen war es bedeutend ruhiger geworden. Abgesehen von der Halle, waren die meisten Fenster jetzt dunkel. Kein Kommen und Gehen mehr. Niemand war zu sehen.
»Bist du bereit?« fragte Marissa.
»Ich weiß nicht recht«, sagte Wendy. »Was haben wir denn geplant?« Wendy war nicht nur nervös, sie zitterte auch vor Kälte. Die Temperatur war auf unter zehn Grad gesunken, und der Märzwind ging durch und durch. Die dünnen weißen Ärztekittel, die sie anhatten, wärmten überhaupt nicht.
»Wir müssen ein Computerterminal finden«, antwortete Marissa. Bei dem Wind mußte sie schreien, um sich verständlich zu machen.
»Ist egal, wo. Kommt nur darauf an, daß uns eine Zeitlang keiner stört. Komm, Wendy! Wenn wir länger hier stehenbleiben, holen wir uns noch den Tod.«
»In Ordnung«, sagte Wendy und holte tief Luft. »Gehen wir!«
Ohne weiteren Aufenthalt gingen sie über den Hof und stiegen die Treppe hinauf. Unterwegs warfen beide Frauen scheue Blicke auf den Rhododendronkübel mit den niedergedrückten Zweigen. Er erinnerte sie nur allzu lebhaft an Rebecca Zieglers schreckliches Schicksal.
Marissa probierte den Türknopf. Es war abgeschlossen. Sie legte beide Hände muldenförmig ans Glas und spähte hinein. Drinnen war eine Putzkolonne dabei, den Marmorfußboden mit elektrischen Geräten zu polieren. Sie klopfte mehrmals an die Scheibe, aber die Leute reagierten nicht.
»Verdammt«, sagte Marissa. Sie suchte den Hof mit den Blicken ab, aber eine andere Tür gab es nicht.
»Darauf wäre ich nie gekommen, daß jetzt schon abgeschlossen ist«, sagte Wendy.
»Mir ist kalt«, sagte Marissa. »Gehen wir zum Wagen zurück! Da können wir weiter überlegen.«
Sie drehten sich um und eilten die Treppe hinab. Als sie vornübergebeugt über den Hof gingen, auf dem der Wind Abfälle hochwirbelte, kam ihnen ein Mann entgegen, der auch in die Klinik wollte.
Beim Vorbeigehen sagte Wendy zu ihm: »Die Tür ist abgeschlossen.« Am Ende des Hofs tauchte ein zweiter Mann auf, der ebenfalls auf den Klinikeingang zusteuerte. Wieder sagte Wendy: »Die Tür ist abgeschlossen.«
Die Frauen bogen nach rechts ab und ging schnell auf den Parkplatz. Plötzlich drehte Marissa sich um und schaute zum Hofeingang zurück.
»Komm weiter!« drängte Wendy.
Zuerst tauchte wieder der eine Mann auf, dann der andere. Als sie sahen, daß die Frauen sie beobachteten, entfernten sie sich rasch in verschiedene Richtungen.
»Was ist los?« fragte Wendy.
»Hast du den ersten Mann gesehen?« fragte Marissa ihrerseits.
»Flüchtig«, sagte Wendy.
Marissa überlief ein Schauder, aber diesmal nicht wegen der Kälte.
»Ich bekam eine Gänsehaut, als ich ihn sah«, sagte sie und setzte sich wieder in Bewegung. »Er hat mich an einen schlimmen KetaminTrip erinnert, den ich einmal erlebt habe. Unheimlich ist das!«
Auf dem Parkplatz fummelte Wendy mit den Autoschlüsseln herum. Ihre Finger waren steif gefroren. Sie hatte Mühe mit dem Aufschließen. Schließlich schaffte sie es, stieg ein und machte von innen für Marissa die Beifahrertür auf. Dann drehte sie den Zündschlüssel und stellte die Heizung voll an.
»Das war ein ganz eigenartiges Gefühl, als ich den Mann sah«, sagte Marissa. »Es war fast so wie ein Déjà-vu-Gefühl. Hab ich gar nicht gewußt, daß sich so was auch nach einer Halluzination
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