Mark Brandis - Salomon 76 (Weltraumpartisanen) (German Edition)
mir Captain Romen, soweit dies auf engstem Raum möglich war, aus dem Weg. So machte er es sich zur Gepflogenheit, die Messe stets dann zu verlassen, wenn ich eintrat.
Einmal stellte ich ihn deshalb zur Rede. »Ich habe den Eindruck, Captain, Sie meiden meine Gesellschaft.«
Captain Romen – im Begriff, die Messe zu verlassen – drehte sich noch einmal um. »Darf ich, bevor ich antworte, Sir, erfahren, wie dies gemeint ist: ob als Frage oder als dienstliches Verhör?«
Mein Ärger war längst verraucht. Mir ging es lediglich darum, die gewohnte Bordkameradschaft wieder herzustellen. »Es handelt sich um eine private Anmerkung, Captain. Wir sollten unser Kriegsbeil begraben.«
Captain Romen blieb unversöhnlich. »In diesem Fall, Sir«, erwiderte er, »gestatten Sie wohl, daß ich mich zurückziehe. Ich brauche ein paar Stunden Ruhe. Sonst könnte der Tag kommen, an dem Sie dienstlich etwas an mir auszusetzen fänden – und so weit möchte ich es nicht kommen lassen.«
Ich begriff, daß er mir meine ablehnende Haltung nicht verziehen hatte.
Er hatte seinen Standpunkt demnach nicht geändert – im Gegensatz zu mir, der ich nach meinem Gespräch mit Villiers in meiner Überzeugung gefestigter denn je war. Selbst mein ursprüngliches Bedauern für Harris war dahin. Ich hatte meinem alten Chef die Treue gehalten bis zu einem Punkt, wo Treue umschlug in blinde Anbetung. Auf diesem Weg weiterzugehen war töricht – und je weniger ich über Harris‘ Verhaftung nachdachte, desto besser war es für mein seelisches Gleichgewicht.
Ruth O‘Hara hatte die richtigen Worte gefunden: Man mußte sich endlich daran gewöhnen, mit dem Neuen zu leben. Auch wenn es einem schwerfiel, sich damit anzufreunden.
Und gab es nicht Beispiele genug für das, was uns in diesem Jahr widerfuhr?
Auch zu den Papuas war irgendwann einmal das Gesetz gekommen, und auch ihnen war dies gewiß zunächst unheimlich und unverständlich, ja grausam erschienen. Die Vorteile, die ihnen das Gesetz brachte, erkannten sie erst nach und nach.
Nicht viel anders war unsere Situation.
Aus der Steinzeit einer primitiven Justiz waren wir übergetreten in eine Epoche absoluter Gerechtigkeit. Daß dieser Gerechtigkeit dann und wann auch Menschen zum Opfer fielen, die man gern hatte, damit mußte man sich abfinden. Um so mehr mußte man sein eigenes Verhalten überprüfen. Wer sich nichts zuschulden kommen ließ, hatte nichts zu befürchten.
Der Mensch war aufgerufen, sich moralisch und sozial zu vervollkommnen. Jedes Straucheln – das früher unentdeckt geblieben oder doch vertuscht worden wäre – führte in diesem neuen Zeitalter unweigerlich zu Konsequenzen.
SALOMON 76 gerechter als Gott?
In gewisser Weise ja. Denn nach einigen Monaten oder Jahren seiner unbestechlichen Auslese mußte als Endresultat der gute und charakterfeste Mensch übrigbleiben. Das war es, was Villiers vorschwebte: als fernes, als letztes, als höchstes Ziel.
Irgendwann im Verlauf des Fluges ließ ich etwas von meinen Überlegungen meinem Navigator gegenüber durchklingen.
Bevor Lieutenant Stroganow antwortete, drückte er auf einen Knopf, und das Schott zum Kartenhaus rastete ein.
»Darf ich offen reden, Sir?« fragte er.
»Ich bitte darum!« erwiderte ich.
Er wiegte nachdenklich den schweren Kopf mit dem ergrauenden Haar. »Nichts gegen SALOMON 76, Sir. Ich finde es großartig, daß wir so etwas haben. Aber ganz so neu ist diese Erfindung nicht.«
»Wie das, Lieutenant?«
»Nun, Sir, in meiner alten Heimat, in Rußland, hat es im vergangenen Jahrhundert schon mal etwas Ähnliches gegeben – kein Computer, das nicht, aber eine Organisation, Tscheka. Sie sollte die Guten von den Bösen trennen. Wie das damals ausgegangen ist, weiß heute jedes Kind.«
Ich stand auf; es wurde für mich Zeit, auf die Brücke zurückzukehren. »Ein schlechter Vergleich, Lieutenant. Damals richteten Menschen über Menschen.«
Stroganow hob scherzhaft die Hände: zum Zeichen seiner Kapitulation. »Ich weiß, Sir. Alle Vergleiche hinken. Inzwischen hat die Menschheit dazugelernt. Und solange wir von SALOMON 76 nichts zu fürchten haben, weil wir uns streng an die Gesetze halten, ist ja auch alles in Ordnung.«
»Eben!« beendete ich das Gespräch. »Das ist es letztlich, worauf es ankommt. Auf jeden einzelnen von uns selbst.«
Vier Wochen nach diesem Gespräch landeten wir, wie es der Flugplan vorsah, auf der Venus.
In der Halle begrüßte mich Sven Björnsen, der Stationsmeister, ein
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