Mars Live
sechs Stunden zuvor verlassen. Am Horizont sah Bass das dunkle Labyrinth der Canyon-Landschaft. Der Zweitausend-Meilen-Annäherungs-Kreis der Ziolkowski war im Begriff, sich zu schließen, und es war Zeit, nach dem Landeplatz zu suchen.
10
»1610. 266.«
Fonda-Fox wachte vor Angst auf.
»1520. 257.«
Das beruhigende Rauschen des Windes hatte sich zu einem bedrohlichen Heulen gesteigert, das nicht nur durch die Luft kam, sondern auch durch seine Fußsohlen. Es war merkwürdig, mit Gewicht aufzuwachen. Er spürte die Riemen des Sitzes unter seinem Hinterteil. Das kleine Schiff schaukelte und rollte von einer Seite zur anderen. Jeffries und Greetings waren an der rechten Luke, während Glamour durch die vordere Windschutzscheibe zwischen Bass und Natascha Kirow hindurch filmte. Fonda-Fox löste seine Gurte und zog sich auf die Beine. Nach zwei Jahren Schwerelosigkeit hatte er erwartet, sich schwach zu fühlen, doch seine Arme und Beine kamen ihm kräftig vor, als er durch den vorderen Teil der Konstantin Ziolkowski ging und sich dabei an den angeschnallten Behältern mit Vorräten festhielt, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Am Eingang zum Flugdeck schob er das Gesicht über Glamours surrenden Demogorgon und zwischen Bass und Natascha Kirow.
Die Kommandantin saß im Copilotensitz und las Geschwindigkeit und Höhe von einer sich ständig verändernden Digitalanzeige ab, während Bass mit einer Hand nach Schnupftabak angelte und mit der anderen das Schiff steuerte. Das Heulen ihres Fluges schwächte sich zu einem entspannten dumpfen Brummen ab, wie das UUUUUMMMMM, das die Kinder in Beverly Hills früher im Kindergarten vor ihrem Mittagsnickerchen zu machen pflegten.
»Es ist jammerschade, daß Sweeney das hier nicht miterlebt«, sagte Bass.
»1366. 231. Ich werde jetzt in meinen Marsanzug schlüpfen«, sagte die Kirow. »Jeffries, kommen Sie mit.«
»Jeffries ist hinten, am Fenster«, sagte Fonda-Fox.
»Dann kommen Sie. Das ist noch besser.«
Roter Boden flitzte unter ihnen dahin. Greetings sah etwas zwischen den Steinen, das sich bewegte, wie ein Tier. Es jagte sie; beinahe hätte sie laut aufgeschrien. Doch dann wurde ihr klar, daß es nur der Schatten der Ziolkowski war, der über die rosafarbenen Steine hüpfte. Sie glitten ein langes, flaches Tal entlang bis zu einem Einschnitt am Horizont; in der Nähe des Einschnitts waren dunkelbraune Dünen und dahinter etwas Dunkles und Bedrohliches, wie das Meer.
»865. 224«, sagte Jeffries, den Bass nach vorn gerufen hatte, damit er Natascha Kirow als Copilot ersetzte. »Ich sehe dort unten etwas.« Weit vor ihnen kauerte etwas zwischen den Dünen, das wie ein geducktes kleines Haus aussah.
»Das wird vermutlich die Agnew sein«, sagte Bass.
Natascha Kirow zog den Reißverschluß an Fonda-Fox’ Marsanzug vollends zu, während sie mit lauter Stimme Befehle erteilte: »Greetings, anschallen! Bass ich bin auf Kanal vier deines Kommunikators. Fonda-Fox und ich haben Anzüge angelegt, falls wir zu einem Notausstieg von Bord gezwungen sind. Glamour, Sie können weiterfilmen, aber schnallen Sie sich an, verdammt! Wenn die Kamera kaputtgeht, kostet das einen Haufen Geld.«
»157«, sagte Jeffries. »Wir sind gleich unten.«
»Bis jetzt sehe ich noch keinen Landeplatz«, sagte Glamour.
»Wir kommen wohl um eine Ackerlandung nicht herum«, sagte Bass. Er war im Begriff, die Ziolkowski in jenem spektakulären, hasenjagdähnlichen Manöver zu Boden zu bringen, die Carolus als ›Polnische Treppenlandung‹ bezeichnete.
Die Schluchtenlandschaft der Valles Marineris ist mit dem Grand Canyon verglichen worden, weil sie tief und trocken und rot ist; aber in ihrer Größe und ihrer Rolle auf dem Planeten kommt sie dem Amazonas-Becken näher. Sie ist wetterbestimmend. Als ausgedehntes, fächerförmiges System aus Verzweigungen von Untercanyons und Seitencanyons, das 337.600 Quadratkilometer bedeckt, ist das gesamte Gebiet so lang, daß die östliche Hälfte vom vollen Sonnenlicht beschienen ist, während die westliche noch in Dunkelheit liegt; die Temperaturunterschiede erzeugen einen stürmischen Windstrom, der vom frühen Morgengrauen bis zum hellen Vormittag von Westen her aus den Schluchten herausweht und sich gegen Mittag zu einem immer noch starken Windfluß abmildert. Es handelt sich dabei nicht um die dünne Luft einer von der Sonne erwärmten Thermik, sondern um schwere, kalte Luft, die von der wärmeren Luft weit im Osten herausgetrieben
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