Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars
Polizisten kümmerten sich nicht darum und schienen auch nicht an den Leuten interessiert zu sein, die sie befragten. Sie machten unter sich Scherze, während sie sich über die Restaurants in Odessa unterhielten, und bewegten sich gelassen von einer Reihe zur nächsten wie Schaffner. Sie machten den Leuten Zeichen, ihre Hände auf das kleine Lesegerät zu legen, prüften dann beiläufig die Ergebnisse, verglichen nur ein paar Sekunden die Gesichter der Leute mit den Fotos, die auf ihren Ausweisen erschienen.
Sie kamen zu Spencer, und Mayas Herz schlug schneller. Spencer (falls er es war) hielt ruhig die Hand auf das Gerät und schien direkt den Sitz vor sich anzusehen. Plötzlich war an seiner Hand etwas sehr vertraut. Da unter den Adern und Leberflecken war zweifellos Spencer Jackson. Sie erkannte ihn an den Knochen. Der Polizist mit dem Stimmenleser hielt diesen kurz Spencer ans Gesicht. Dann warteten alle. Endlich bekam er eine schnelle Zeile auf dem Leser und ging weiter. Zwei Personen von Maya entfernt. Selbst die überschwenglichen Geschäftsleute waren nun gedämpft, als ob es lachhaft wäre, daß solche Maßnahmen jetzt sogar schon im Zug eingeführt wurden. Das gefiel niemandem. Es war ein Fehler, so etwas zu machen. Maya gewann dadurch Mut und blickte aus dem Fenster. Sie stiegen die Südseite der Niederung empor. Der Zug glitt den sanften Anstieg der Strecke über niedrige Hügel hinauf, von denen jeder etwas höher war als der vorige. Er fuhr immer mit der gleichen Geschwindigkeit wie auf einem Zauberteppich über den noch zauberhafteren Teppich der bunten Landschaft.
Jetzt standen sie vor ihr. Der ihr am nächsten Stehende trug über seinem rostfarbenen Uniformjumper einen Gürtel, an dem mehrere Instrumente hingen, einschließlich Betäubungspistole. »Bitte Identitätsprüfung.« Er trug ein Namensschild mit Foto und Dosimeter und einem Etikett, das besagte: Übergangsbehörde der Vereinten Nationen. Ein junger Einwanderer von etwa fünfundzwanzig Jahren mit schmalem Gesicht, der müde aussah. Er drehte sich um und sagte zu dem weiblichen Beamten hinter sich: »Ich liebe den Kalbsparmesan, den sie hier zubereiten.«
Das Lesegerät auf ihrem Handgelenk fühlte sich warm an. Die Beamtin musterte sie genau. Maya ignorierte den Blick und sah auf ihr Handgelenk. Sie wünschte, sie hätte eine Waffe. Dann sah sie in das Kameraauge des Lesers von Stimme und Auge. Der junge Mann fragte: »Was ist Ihr Ziel?«
»Odessa.«
Ein Moment Ungewissen Schweigens.
Dann ein hohes Piepen. »Angenehmen Aufenthalt!«, und sie waren weg.
Maya versuchte langsam und gleichmäßig zu atmen. Die Leser am Handgelenk maßen den Puls; und wenn er über etwa 110 lag, meldeten sie das dem Applikator. Das war eine Art einfacher Lügendetektor. Offenbar war sie unter dem Strich geblieben. Aber ihre Stimme und ihre Netzhaut. Die waren nie geändert worden. Die Schweizer Paßidentität mußte wirklich mächtig sein und die früheren Identitäten überspielen, wenn man sie abfragte, mindestens in diesem Sicherheitssystem. Hatten die Schweizer das getan oder die von Sabishii oder Cojote oder Sax oder eine ihr unbekannte Macht? Hatte man sie wirklich erfolgreich identifiziert und gehen lassen, um ihr so nachzuspüren, daß sie sie zu mehr der flüchtigen Hundert führen würde? Das könnte ebenso wahrscheinlich sein wie das Überwinden der großen Datenbanken - vielleicht sogar noch wahrscheinlicher.
Aber im Moment ließ man sie in Ruhe. Die Polizei war gegangen. Maya klopfte mit den Fingern auf das Lesegerät, und ohne nachzudenken rief sie ihre letzte Lektüre wieder auf. Michel hatte recht. Sie fühlte sich zäh und hart, als sie sich wieder in diesen Stoff versenkte. Theorien zur Erklärung des Todes von John Boone. John war getötet worden; und jetzt wurde sie von der Polizei kontrolliert, während sie in einem gewöhnlichen Zug über den Mars reiste. Es war ganz deutlich zu fühlen, daß es da eine gewisse Ursache und Wirkung gab, daß es nicht so sein würde, wenn John gelebt hätte.
Alle Hauptfiguren dieser Nacht sind angeklagt, hinter dem Mord zu stehen: Russell und Hoyle wegen scharfer Meinungsverschiedenheiten in der MarsErst-Politik; Toitovna wegen eines Streits in Liebessachen; und die ethnischen oder nationalen Gruppen auf Grundlage echter oder eingebildeter politischer Quereten. Aber sicher war im Laufe der Jahre der Hauptverdacht auf die Person von Frank Chalmers gefallen. Obwohl man beobachtet hatte, daß er
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