Marschfeuer - Kriminalroman
meinem Vater abholen. Bis morgen früh, Kollegen.«
»Warum freut dieser Hund
sich eigentlich immer, wenn ich komme?«, fragte Lyn Henning Harms, während sie
versuchte, den Boxer abzuwehren, der schwanzwedelnd um ihre Beine tobte. »Merkt
er nicht, dass ich ihn hasse?«
»Hör nicht auf die böse
Frau, Barny.« Henning Harms zog seinen Hund am Halsband zu sich heran, ging in
die Knie und presste seine Wange an dessen Kopf. »Im Grunde ihres Herzens liebt
sie dich auch.«
»Er ist hässlich, stinkt
nach Hund und sabbert ununterbrochen Glibber. Was bitte sollte ich an ihm
lieben?«
»Seine inneren Werte. Er
ist treu, liebenswürdig, anschmiegsam … und klug! Sieh nur, was er gerade
gelernt hat.« Henning Harms stand auf und rief: »Barny, spiel Romeo!«
Der Boxer hob seinen
Kopf, stieß einen kurzen Heulton aus und legte sich auf die Seite.
»Die Spiel-tot-Variante
auf Harms-Art«, lachte Lyn mit Blick auf den Hund. »Shakespeare würde sich im
Grabe umdrehen.«
»Hi, Mama! Warum lacht
ihr?«
Sophie tauchte aus dem
großväterlichen Wohnzimmer auf und drückte ihren Kopf an Lyns Brust.
»Opas Hang zu Lyrik und
Prosa schlägt mal wieder durch«, sagte Lyn und drückte einen Kuss auf den
blonden Scheitel vor ihr. »Barny macht den Romeo.«
»Ja, das ist echt cool,
nicht«, strahlte Sophie, »Barny ist ein kluger, literarischer Hund.«
»Meinetwegen kann er
König Ludwig II . machen«, sagte Lyn.
»Wieso?«, fragte Sophie.
»Was muss er da tun?«
»Ins Wasser gehen und
ersaufen.«
»Mama!«, schrie Sophie
auf und schlug ihrer Mutter mit der Hand auf den Oberarm. »Du bist echt
gemein.«
Henning schüttelte
ungläubig seinen Kopf. »Deine Mutter muss dich mir untergeschoben haben,
Gwendolyn Harms. Eine andere Erklärung gibt es nicht.«
»Lotte! Wir sind zu
Hause!«, rief Lyn die Treppe hinauf, nachdem sie die Haustür hinter sich und
Sophie geschlossen hatte. Sie hängte ihre Jacke an den Garderobenhaken und warf
die Schlüssel in die alte Kristallschale auf dem Flurschränkchen.
»Hallo, mein Schatz«,
sagte sie lächelnd, als Charlotte die Treppe herunterkam, »ich …«
Weiter kam sie nicht,
denn ihre Tochter unterbrach sie mit schriller Stimme. »Spinnst du jetzt
völlig, Mama?« Charlotte blieb auf der unteren Treppenstufe stehen und sah auf
Lyn herab. »Wie kannst du behaupten, dass Gonzo den alten Waldi ermordet hat?
Jana ist stinksauer auf mich. Erst jaulst du rum, dass ich keine Freunde habe,
und dann gehst du los und vergraulst sie mit völlig aus der Luft gegriffenen
Hirngespinsten! Der … der bringt doch keinen um.«
Lyn starrte sie an.
»Wenn du einen angemessenen Ton anschlägst, Charlotte, werde ich mich mit dir
unterhalten. Ansonsten nicht.« Sie drehte sich um und ging in die kleine Küche.
»Sei nicht immer so
erhaben«, schrie Charlotte und stampfte hinterher. »Ich bin kein kleines
Dummerchen, mit dem du so reden kannst.«
Sophie schob sich an
ihrer großen Schwester vorbei, hob die Katze von dem kleinen Küchenhocker und
setzte sich mit ihr darauf. Wohlweislich schweigend, aber grinsend schaute sie
zu ihrer Mutter. Würde sie ruhig bleiben?
Lyn ging an den
Kühlschrank, griff nach der Milchpackung und nahm einen kräftigen Schluck
daraus, bevor sie lächelnd sagte: »Erhaben! Das ist ein schönes Wort. Du bist
verbal immer so kreativ, Schatz.«
»Und du bist eklig!«,
schrie Charlotte. »Immer trinkst du aus der Packung! Und jetzt gib mir endlich
eine Antwort, du Superkommissarin … Kein Wunder, dass du immer noch
Oberkommissarin bist. Hauptkommissarin wirst du nie schaffen! Weil du unfähig
bist.«
Sophie zog die Schultern
ein. Genau zur richtigen Zeit.
»Jetzt reicht’s,
Fräulein!« Lyns Stimme war scharf wie Peperoni, als sie sich vor ihrer Ältesten
aufbaute. »Ich bin noch Oberkommissarin, weil ich für euch jahrelang zu Hause
geblieben bin. Ich hätte euch auch in einen Hort stecken können. Dann wäre ich
jetzt KHK , und ihr wärt seit frühester Kindheit
Schlüsselkinder und jetzt wahrscheinlich drogenabhängige Hauptschüler!«
»Hast du das gehört,
Krümel?« Charlotte blickte triumphierend zu ihrer Schwester, bevor sie– in
süffisant ruhigem Ton– zu Lyn sagte: »Sonst predigst du uns immer, dass wir
nicht so abwertend über Nicht-Gymnasiasten sprechen sollen, und jetzt haust du
hier solche Klopper raus?«
»Da hat sie recht,
Mama«, ergriff Sophie Partei für ihre Schwester.
»Das … das meinte ich
auch nicht so«, verteidigte Lyn sich lahm, »aber
Weitere Kostenlose Bücher