Martin, Kat - Perlen Serie
rumgetränkten Früchtekuchen seine Erinnerungen an die Vergangenheit, und lächelnd ging er zu seinen Gästen hinüber.
Grace Chastain durchquerte die Eingangshalle in Richtung der weiten Haupttreppe, um zum Erfrischungsraum zu gehen. Der Abend drohte sich endlos hinzuziehen! Nicht nur das Es-
sen war furchtbar gewesen, sondern zu allem Übel hatte man sie auch noch neben Colonel Pendleton gesetzt, der am liebs- ten über den Krieg redete.
Und mittlerweile würde Sarah sich wieder als Ehestifterin versuchen. Grace wusste, dass dies auch der Grund war, wes- halb sie und ihre Eltern überhaupt zu der Abendgesellschaft eingeladen worden waren. Ihre Mutter war außer sich gewesen vor Freude und hatte sie immer wieder ermahnt, sich mit dem Earl zu unterhalten. Als ob das etwas ändern würde! Ganz London wusste, dass er sich mit nichts weniger als einer rei- chen Erbin zufrieden geben würde.
Grace sehnte das Ende des Abends herbei.
Sie rückte das Oberteil ihres pflaumenblauen Seidenkleides zurecht, hob den hoch angesetzten, mit Perlen bestickten Rock und hatte kaum die ersten Treppenstufen genommen, als sie eine Bewegung in der Halle stutzig machte. Nachdem sie sich umgedreht hatte, hielt sie überrascht den Atem an.
„Tory! Victoria Whiting, bist du es wirklich?" Sie rannte die Stufen wieder herunter und eilte der jungen Frau hinterher, die sich hastig von ihr entfernte. Grace griff nach ihrem Arm und zwang sie, sich zu ihr umzudrehen.
„Tory! Ich bin es, Gracie. Erkennst du mich denn nicht mehr?" Als sie ihre Freundin herzlich umarmte, dauerte es ei- nige Momente, bis sie merkte, dass ihre Freude nicht erwidert wurde.
Grace trat einen Schritt zurück. „Was ist mit dir? Bist du gar nicht froh darüber, mich zu sehen?" Erst jetzt fiel ihr Blick auf Torys Kleidung, den schwarzen Taftrock und die weiße Baum- wollbluse. „Warum bist du wie ein Dienstmädchen angezo- gen?"
Tory seufzte. „Oh Gracie, ich hatte gehofft, dass du mich so nicht sehen würdest."
„Was machst du hier? Ich nehme nicht an, dass du tatsäch- lich im Haus Seiner Lordschaft angestellt bist?"
„Ich müsste dir so viel erklären. Seit ich die Schule verlas- sen habe, haben sich die Ereignisse überschlagen." Sie warf ei- nen vorsichtigen Blick in Richtung des Salons. „Heute Abend haben wir dazu keine Zeit. Versprich mir, dass du niemandem erzählst, mich hier gesehen zu haben."
„Gut, ich werde es für mich behalten - aber unter einer Be- dingung. Morgen triffst du dich mit mir und erzählst mir end- lich, was geschehen ist."
Tory schüttelte den Kopf. „Es wäre für uns beide besser, wenn du einfach vergessen könntest, dass du mir hier begegnet bist."
„Morgen, Tory. Das King's Inn ist nicht weit von hier, es ist etwas abgelegen, und niemand wird uns dort sehen. Ich erwar- te dich morgen Mittag um ein Uhr."
Tory gab sich geschlagen. „Gut. Morgen um eins im King's Inn."
Grace blickte ihrer Freundin besorgt nach. Sie hatte Victo- ria Whiting seit Jahren nicht mehr gesehen und fragte sich, was ihr wohl in der Zwischenzeit zugestoßen sein mochte und ob das Leben ihrer besten Freundin genauso kompliziert und verworren geworden war wie ihr eigenes.
7. KAPITEL
Am nächsten Morgen saß Cord in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch und sah die Bücher für Willow Park durch, sei- nem Landsitz in Sussex. Ihm war bereits eine nicht unbe- trächtliche Abweichung zwischen der Menge des für die Scha- fe bestellten Heus und den letztendlich auf dem Markt ver- kauften Schafen aufgefallen. Im Laufe der letzen Jahre waren ihm immer größere Zweifel an seinem Verwalter Richard Reed gekommen, und Cord beschloss, sich so bald wie möglich in Sussex selbst ein Bild der Lage zu machen.
Er blickte kurz zur Uhr auf dem Kaminsims und stand dann hastig auf. Es war zehn Uhr und höchste Zeit, Victorias Prob- leme mit dem Personal ein für alle Mal aus dem Weg zu räu- men. Als er in die Eingangshalle trat, standen seine Hausange- stellten bereits in Reih und Glied und sahen ihn mit besorgten Gesichtern erwartungsvoll an. Alle schienen sich zu fragen, was er wohl mit ihnen vorhatte.
Umso besser. Sie sollten ruhig noch einige bange Momente des Wartens verbringen. Victoria hingegen wirkte eher gleich- mütig als ängstlich.
„Guten Morgen."
„Guten Morgen, Mylord", erwiderten alle einstimmig.
„Zunächst möchte ich Sie wissen lassen, dass ich sehr enttäuscht von Ihnen bin. In den Wochen, während derer Mrs. Temple meinen Haushalt
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