Martin, Kat - Perlen Serie
vorstellen, dass sie den Schoner windschnittiger machten. Auch der Rumpf war einzigartig, und Rafe kam der Gedanke, dass es wohl kaum möglich sein würde, diesen Schiffstyp ohne die originalen Entwurfspläne nachzubauen.
Als Brand ihn nun zu einer kurzen Fahrt einlud, nahm Rafe das Angebot gerne an. Es war ein warmer und sonniger Tag, und der leichte Wind blähte die Segel, die von einer ungewöhn- lichen dreieckigen Form waren, die Rafe nie zuvor gesehen hatte. Das Schiff war zwar nicht für schwere Lasten ausgelegt, aber es war unglaublich schnell und wendig.
Sollte ein solches Schiff mit Soldaten und Kanonen bestückt werden, wäre es jedem anderen Kriegsschiff überlegen und hatte leichtes Spiel mit der gegnerischen Flotte.
Während der Wind die Segel blähte und die Windlass sich
schnittig ihren Weg durch das Wasser bahnte, zweifelte Rafe kaum noch an dem Gerücht, dass Napoleon am Kauf einer sol- chen Flotte interessiert sei und plane, sie gegen die Engländer einzusetzen, die ihm letztes Jahr bei Trafalgar eine schmerz- hafte Niederlage zugefügt hatten.
„Ich gebe heute Abend einen kleinen Umtrunk", meinte Brand, als sie in den Hafen zurückkehrten. „Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie kommen könnten."
Rafe lächelte. Er benötigte so viele Informationen wie nur möglich, besonders über einen Mann namens Bartel Schrader, von dem Max glaubte, dass er für den Handel mit den Franzo- sen verantwortlich war. Phineas Brand hatte ihm gerade eine erstklassige Gelegenheit geboten, sich umzuhören.
„Es wäre mir ein Vergnügen, Mr. Brand."
Es war schon etwas später am Abend, als Rafe in Phineas Brands Wohnhaus in der Front Street eintraf. Er hatte sich ab- sichtlich etwas Zeit gelassen, da er nicht wollte, dass Brand merkte, wie wichtig es ihm war, den Verkauf der Baltimore Clip- per an die Franzosen zu verhindern.
Noch war Rafe sich nicht sicher, ob die englische Regierung bereit wäre, mehr zu bieten, aber er war überzeugt davon, soll- te die Schiffsflotte an Napoleon gehen, dass das Leben unzähli- ger britischer Seeleute auf dem Spiel stand.
Alle Fenster waren noch hell erleuchtet, als Rafe die brei- te Vordertreppe hinaufging. Zu beiden Seiten der Eingangstür stand ein livrierter Diener, um die Gäste willkommen zu heißen. Zwei Stunden später verließ Rafe Brands Haus schon wieder.
Der Abend war noch besser verlaufen, als er sich es hätte träumen lassen. Er hatte alles erfahren, was er wissen wollte, und nun musste er nur noch Max die Neuigkeiten mitteilen.
„Wie ist es gelaufen?" Max hatte in Rafes Zimmer auf ihn ge- wartet und erhob sich nun erwartungsvoll aus seinem Sessel. Während ihres Aufenthaltes in Baltimore hatten sie sich beide ein Zimmer im Seafarer's Inn genommen, einem kleinen Gast- haus in der Nähe des Hafens, und Rafe hatte Max seit dem frü- hen Morgen nicht mehr gesehen.
„Pendieton sorgt sich zu Recht", stellte Rafe fest und zog sei- nen Frack aus.
„Das denke ich auch. Ich bin Ihnen heute Nachmittag zum
Hafen gefolgt und habe die Windlass gesehen." Max ging zur Anrichte hinüber und goss ihnen beiden einen Brandy ein. „Ein Wunder der Schiffbaukunst." Er reichte Rafe ein Glas. „Unter Waffen könnte sie tödlich sein."
„Genau das dachte ich auch."
„War Schrader heute Abend unter den Gästen?"
„Ja, er war da." Max hatte Rafe zuvor schon alles über den international tätigen Handelsmann erzählt, der von allen nur ,der Holländer' genannt wurde. Schrader verdiente ein Vermö- gen damit, Transaktionen zwischen Käufern und Verkäufern zu vermitteln, und erhielt für jeden abgeschlossenen Vertrag eine Provision. Max hielt es für möglich, dass er auch in dem Geschäft mit den Franzosen als Mittelsmann fungierte.
„Rotblondes Haar?", erkundigte sich Max. „Blaugraue Au- gen? Ende dreißig?"
„Das ist er." Rafe nahm einen Schluck von seinem Brandy und spürte sofort, wie sich die Anspannung in seinen Schultern löste. Er dachte an das kurze Gespräch, das er mit dem Mann geführt hatte, den Phineas Brand ihm heute Abend vorgestellt hatte.
„Euer Gnaden", hatte Schrader ihn begrüßt und dabei nur die Andeutung eines Akzentes hören lassen. Er mochte Hollän- der sein, war aber offensichtlich ein Mann von Welt.
„Es ist mir ein Vergnügen, Mr. Schrader."
„Unser Gastgeber hat mir erzählt, dass Sie heute eine kleine Ausfahrt auf der Windlass genossen haben ", meinte der Hollän- der nun. „Ein unglaubliches Schiff, finden Sie nicht
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