Marzipaneier (Junge Liebe)
gewöhnlich überfüllten Zahnarztpraxis verbringen musste. Beide werden lauter. Das ist kein gutes Zeichen. Ich habe Angst zu ihnen zu gehen. Selbst wenn Eltern bis ins Mark nerven können, ist es für die Kinder - egal in welchem Alter - schlimm, sie streiten zu hören. Ich kann einiges einstecken, aber so was belastet mich immer wieder aufs Neue. Hört auf damit, aber pronto!
Ich muss wissen, was da unten vor sich geht. Sonst werde ich wahnsinnig. Dad kann Mum gegenüber immer sehr aufbrausend und beleidigend sein. Ich habe Angst um ihr liebes Gemüt, sie weint dann immer schnell. Zurückhaltend steige ich die Treppenstufen hinab und hole mir mit einem mulmigen Gefühl im Magen ein Glas Milch aus der Küche. Mein Alibi.
„Was erlaubt der sich eigentlich“, schimpft Dad. Um Mum geht es nicht. Na Gott sei dank! Ich bin beruhigt.
„Das kann er Vater nicht antun. Er weiß genau, wie viel ihm das bedeutet. Er ist und bleibt ein verwöhntes Bürschchen.“
Dad ist immer noch sichtlich erregt. Oh nein, der nächste Familienkrach ist vorprogrammiert, wenn er nicht längst in vollem Gange ist. Wenn Dad vom verwöhnten Bürschchen spricht, ist grundsätzlich Ben der Schuldige. Sein ganzes Leben scheint er eifersüchtig auf seinen Bruder zu sein. Ich glaube, Bens Geburt hat ihm einen ziemlichen Knacks versetzt. Von diesem Zeitpunkt an war er nämlich nicht mehr allein „Daddy’s Liebling“. Außerdem hatte Ben immer die größeren Freiheiten, wenn man Dads Aussagen Glauben schenken darf. Rivalität beschreibt ihr Verhältnis wohl am Besten.
Während Dad anstatt Arzt zu werden, lieber zur Marine gegangen wäre, er sich aber aufgrund des heftigen Bittens seines Vaters zum Medizinstudium durchgerungen hat, zog Ben es vor, zu tun, wonach ihm der Kopf stand. Opa hätte es gerne gesehen, wenn Ben Anwalt geworden wäre. Der hat sich aber seit eh und je mehr für Aktien und schnelle Autos interessiert und entfloh dem Familientrubel ins Ausland. Wenn Dad ehrlich ist, hätte er schon wegen uns nicht zur Marine gekonnt, da er in diesem Fall nie zu Hause gewesen wäre. Und dafür wäre er nicht der Typ Mensch.
Und das ganze Brimborium bloß, weil Ben aus der Kirche ausgetreten ist. Nachdem Dads Redeschwall ein Ende gefunden hat, lässt er sich aufgelöst mit einem Glas Whiskey in der Hand in seinen Sessel fallen. Um diese Tageszeit trinkt er sonst nie. Ich frage mich, was daran so schlimm sein soll? Ich finde es gut konsequent zu sein und aus der Kirche auszutreten, wenn man es mit dem Glauben nicht so hat. Bei uns würde das auch keinen großen Unterschied machen, so selten wie wir uns in der Kirche blicken lassen. Opa ist sauer auf Ben. Wenn sie so christlich sein wollen, wie sie vorgeben, sollte Dad seinen Bruder unterstützen und ihn nicht verurteilen. Womöglich sieht er nun seine Chance wieder die absolute Nummer eins bei seinem Vater zu werden. Als ob es nichts Wichtigeres auf Erden gäbe. Ich für meinen Teil freue mich natürlich, dass Ben es vorzieht nur auf dem Papier Mann und Frau mit Bianka zu sein. Schlimm genug! So was ist einfacher zu lösen, als ein Bund vor Gott – zumindest vor meinem Gewissen. Mum gibt Dad Recht. Sie kann Ben nicht ausstehen. Nicht zuletzt deswegen, weil er mir das ein oder andere Mal im Kindesalter schon Flausen in den Kopf gesetzt hat, und Mum davon überzeugt ist, dass er das immer noch tut. Strickend lauscht sie Dads Worten. Beide hacken auf Ben rum. Sie benehmen sich wie die Kleinkinder und niemand verteidigt Ben. Mir reicht’s. Ich hab’s eilig. Erst jetzt fällt mir meine Verabredung mit Ben wieder ein.
„Dennis! Wo willst du hin?“
Mums Neugierde hat nun schon auf Dad übergegriffen. Seit wann muss ich für alles, das ich mache, Rechenschaft ablegen? Sonst kümmert er sich doch auch nicht um mich.
„Ich geh’ kurz raus.“
„Dir würde es nicht schaden, etwas für die Schule zu tun.“
„Ich geh zu Ben. Bin zum Essen zurück.“
Oops! Das hab ich jetzt nicht wirklich gesagt, oder? Bin ich ein Schussel!
„Wie bitte?! Sag mal, junger Mann. Hast du eben nicht richtig zugehört?“
Dad spricht mit erhobener Stimme und Mum schaut streng in die Runde. Ich bin so doof! Jetzt kann ich mir ziemlich was anhören. Ich bin auf alles gefasst.
„Ich verbiete dir in absehbarer Zeit etwas mit Bendix zu unternehmen, solange du deine Beine unter meinen Tisch streckst. So geht das nicht! Hast du deiner Mutter nicht zugehört? Es wäre kein Fehler etwas gegen deine schlechten
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