Maskerade
Schrei, als die Musik so plötzlich abriß. Liz stand auf und begann, ziellos in ihrem Zimmer umherzulaufen, bis sie nebenan Cara rumoren hörte.
„Bist du daheim?“ rief sie erleichtert und steckte den Kopf durch den Türspalt. „Hattest du einen netten Thanksgiving-Tag ?“
„Liz!“ Cara lächelte. „Komm herein! Ja, es ging so, wenn man die Umstände bedenkt. Gewiß, an Thanksgiving möchte man zu Hause sein. Aber meine Eltern riefen mich an, was mir immerhin half, und hier im Heim gab es ein sehr gutes Festessen für alle, die nicht hatten heimfahren können.“
„Das freut mich“, versicherte Liz und setzte sich. „Ich habe an euch alle gedacht und mir vorgestellt, wie es sein muß, wenn man den Truthahn allein, ohne seine Angehörigen, verspeist. Warum in aller Welt hattest du eigentlich nicht Pennys Einladung angenommen, mit ihr übers Wochenende nach Hause zu fahren?“
Cara wurde rot. „Oh, nun — hm — , ich wollte mich nicht aufdrängen, glaube ich. Außerdem hatte ich so ein ruhiges Wochenende zum Arbeiten.“
„Arbeiten!“ protestierte Liz. „Ehrlich, Cara, übertreibst du es nicht mit der Arbeit? Niemand schuftet derart wie du. Du kennst wahrhaftig nur Pflichten, aber kein Vergnügen!“
Cara lächelte. „Ich kann mich später noch amüsieren. — Hast du Peter gesehen?“
Liz nickte. „Ja, es war wie früher. Überall sind wir zusammen in Bridgedale herumgelaufen. Aber ich bin schrecklich froh, daß ich wieder hier bin.“ Sie stand auf und ging hinüber zum Schreibtisch, um einen Blick auf Caras Zeichenbrett zu werfen. „Liebe Güte, Cara!“ rief sie bewundernd aus. „Deine Leistungen werden von Tag zu Tag aufregender!“
Cara hatte sich die ganze Woche damit beschäftigt, ein Bilderbuch zu entwerfen. Die weißen Papierbogen waren in der Größe des zukünftigen Buches gefaltet und geschnitten, und auf jeder Seite hatte sie angegeben, wo der Text und wo die dazugehörenden Zeichnungen stehen sollten. Eines der Bilder war als Probe bereits farbig ausgeführt. Eine lange grüne Raupe kroch da auf einer Unzahl durcheinanderwuselnder Beine quer über zwei Blätter. Auf dem Rücken trug sie sieben winzige Reiter, die alle Zügel in der Hand hielten. Die roten Kappen der sieben standen in reizvollem Kontrast zu dem grünschillernden Körper des vielbeinigen Ungeheuers, und die in feinen Federstrichen ausgeführten Einzelheiten verliehen dem Ganzen einen geradezu bezaubernden Effekt.
„Wie viele Bilder sollen bunt werden?“ fragte Liz interessiert. Caras Arbeit hatte sie momentan von ihren Problemen abgelenkt.
„Der Lehrer hat vorgeschlagen, ich solle drei in dieser Art ausführen, eines davon allerdings nur schwarzweiß.“
„Schade. Warum denn?“
„Die Herstellung wird sonst zu kostspielig“, erklärte Cara. Draußen auf dem Flur klingelte das Telefon, und Melanies Stimme antwortete. „Liz?“ fragte sie in die Muschel hinein. „Meinen Sie Liz Gordon?“ Liz richtete sich auf und horchte gespannt hinaus. „Oh“, hörte sie dann Melanie sagen und gleich darauf zum vierten Stock hinaufrufen: „Liz Cheney, Telefon!“ Liz seufzte enttäuscht. Was hatte sie eigentlich erwartet oder wen? „Ich glaube, ich gehe lieber in mein Zimmer und schlafe ein Weilchen bis zum Tee“, murmelte sie. „Ich habe heute sozusagen mitten in der Nacht aufstehen müssen — um sechs! —, um den Zug zu erreichen. Penny ist noch nicht zurück, oder?“
„Ich habe sie nicht gesehen“, erwiderte Cara.
Liz nickte und verabschiedete sich damit einstweilen. Als sie über den Flur ging, hörte sie Liz Cheney eifrig ins Telefon hineinsprechen, und Liz ärgerte sich plötzlich aus unerfindlichen Gründen darüber, daß nicht sie den Anruf bekommen hatte. Wie in aller Welt konnte sie sich ihre Gefühle und Stimmungen erklären? Sie ging in ihr Zimmer, schloß die Tür ab und setzte sich seufzend aufs Bett. Nachdem sie eine Weile die Wand angestarrt hatte, legte sie sich hin, aber auch in dieser Stellung sah die Wand nicht anders aus. Liz drehte sich um und merkte erst jetzt, wie einsam und verwirrt sie war.
21. KAPITEL
Am Dienstagabend kam Penny erst gegen neun Uhr aus der Schule, nachdem sie zwei Stunden lang für die Modenschau geprobt hatte. Sie fühlte sich restlos am Ende ihrer Kräfte. Zwei Stunden langsam hin und her zu promenieren, eine Hand auf der Hüfte, mit einem maskenhaft starren Lächeln auf den Lippen, ist keine Kleinigkeit. Dabei hatte niemand allzu große Begeisterung
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