Maskerade der Liebe
besser, wenn er den Rest nicht erführe, da er vielleicht Protest erheben würde. Oder möchten Sie ihm lieber die Wahrheit erzählen?“
Tränen stiegen ihr in die Augen. Krampfhaft hielt sie sie zurück. Dieser verfluchte Mann! Es war so ungerecht. Wenn sie je Sophie wieder sehen sollte, würde sie ihr gründlich die Meinung sagen, weil sie ihr so etwas antat.
Konnte sie es ihr zum Vorwurf machen? Nein, es war ihre eigene Schuld. Wenn sie auf das Laudanum mehr Acht gegeben hätte, wäre das alles nicht geschehen. Das war ihre Strafe.
Trotzdem war es Unrecht, an seinem Täuschungsmanöver teilzunehmen. Aber sie hatte keine Wahl. Gewiss hatte Gott nicht gewollt, dass sie ihr Leben verspielte, um ihren Prinzipien treu zu bleiben.
„Also gut. Ich tue, was Sie von mir verlangen“, brachte sie mühsam hervor.
„Noch eins.“
Tränen brannten ihr in den Augen. „Was wollen Sie denn noch von mir?“
„Sie müssen den Grund, warum Sie mir helfen, für sich behalten, und es nicht einmal meiner Schwester sagen. Sollten Sie es jemandem erzählen, schwöre ich Ihnen, dass ich meine Drohungen wahr machen werde.“
„Lady Dundee würde Ihre Erpressung also nicht gutheißen, nehme ich an?“
Finster blickte er sie an. „Jedenfalls will ich nicht, dass sie von unserer Abmachung etwas erfährt. Wenn Sie etwas verraten, dann schwöre ich Ihnen . . .“
„Ich habe Sie verstanden.“ Stolz straffte Emily die Schultern. „Wenn ich tue, was Sie verlangen, dürfen Sie das Geheimnis um den Tod meiner Mutter nie jemandem anvertrauen. Versprechen Sie mir das?“
Er betrachtete sie durch seine Lorgnette. „Selbstverständlich. Sobald ich den heimlichen Verehrer meiner Tochter entlarvt und dieses Spiel beendet habe, sind wir quitt.“
„Schwören Sie es mir?“
„Ich schwöre.“
An diesen Schwur werde ich Sie erinnern, Mylord, dachte sie hitzig, als er in die Eingangshalle hinausging und Lady Dundee rief. Glauben Sie ja nicht, dass ich ihn vergessen werde.
4. KAPITEL
London Mai 1819
Das genaue Beachten der Schicklichkeit lässt die Tugend verkümmern.
Mary Wollstonecraft,
Eine Verteidigung der Frauenrechte
Emily fröstelte. Sie zog ihren mit Pelz besetzten Umhang enger um das nur leichte Kleid. Durch die beschlagenen Scheiben der Nesfield-Kutsche konnte sie die Londoner Straßen im aufsteigenden Nebel sehen.
Während der endlos scheinenden Fahrt über schlammige Straßen, auf denen sich die Menschen drängten, musste sie häufig vorgeben, die gerade aus Schottland eingetroffene Tochter von Lady Dundee zu sein.
Warum hatte sie je Willow Crossing als langweilig und fade empfunden? Wie sehr sie nun ihren kleinen Garten, die vielen Felder, die schmalen Landstraßen und Pfade vermisste! Was hätte sie alles dafür gegeben, einen Blick auf ihr Zuhause werfen zu können!
Gedankenverloren rieb sie einen Streifen an der beschlagenen Fensterscheibe frei, um die großen Herrschaftshäuser auf der Straße betrachten zu können. Das war es, was sie darstellte - eine Beobachterin, eine Außenseiterin. Ganz gleich, wie sehr sich Lady Dundee bemühte, sie einzuführen - sie würde niemals hierher gehören.
Am Abend schien nicht einmal der Mond. Man sah nur das schwache Leuchten der Öllaternen, die die Umgebung in ein düsteres Licht tauchten, was sie noch mehr bedrückte. Sie seufzte laut.
„Sie sind doch nicht aufgeregt?“ erkundigte sich Lady Dundee, die neben ihr saß.
„Ein bisschen.“
„Machen Sie sich keine Sorgen, mein Kind. Das Schlimmste ist vorüber. Sie haben Ihre Einführung am Hof mit dem richtigen Grad an Bescheidenheit hinter sich gebracht. Ich hätte nicht zufriedener sein können, wenn Sie tatsächlich meine Tochter wären. “
Bei diesem Lob wurde es Emily warm ums Herz. Zuerst war sie entschlossen gewesen, Lady Dundee zu hassen. Aber das hatte sich schon bald als unmöglich herausgestellt. Obgleich die Countess manchmal unerhörte Dinge von sich gab, war sie doch freundlich und liebenswert - geradezu eine ideale Begleiterin. Mit ihrem Bruder hatte sie wirklich nichts gemeinsam.
Zum Glück sah sie Lord Nesfield sehr selten. Er und seine Schwester hatten sich entschlossen, dass es das Beste wäre, wenn er im Moment nicht so häufig auftauchte, vor allem wenn er und „Lady Emma“ einander nicht ausstehen konnten.
„Gestern Abend war es nicht schwer für mich“, bemerkte Emily. „Sie hatten mir ja gesagt, wann ich gehen, wann ich meine Karte dem Hofmeister geben, wann ich einen Knicks machen
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