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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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ging jaulend und heulend in mein Zimmer, ließ Tony aus dem Schrank, während ich mich vor Lachen krümmte. Dann wartete ich, bis Baba eingeschlafen war, und schleuste Tony raus. Mama mochte es nicht, dass ich den ganzen Tag irgendwo rumhing und lieber mit Tony auf den Wiesen herumtollte, anstatt Hausaufgaben zu machen. Sie hatte Angst, falsche Freunde würden mich auf die schiefe Bahn bringen, und ich fragte mich, wie Tony mich auf die schiefe Bahn bringen sollte, Hunde wüssten wohl kaum, wie man Menschen auf die schiefe Bahn brachte. Zwei Wochen später trieb Mama eine Tagesmutter für mich auf.
    Wir hatten gerade Sommerferien und natürlich fuhren wir nicht in den Urlaub, wir fuhren nie in den Urlaub, wir gingen nicht einmal zelten. Worüber ich durchaus froh war, denn Mama und Baba in einem kleinen Zelt – da wäre keiner lebend rausgekommen. Mama war heilfroh, ihren Sohn nicht mehr unbeaufsichtigt zu Hause lassen zu müssen. Ich schmollte und weigerte mich mitzugehen, dann maulte ich, warum Amani nicht zur Tagesmutter musste. Mama sagte, weil Amani den ganzen Tag zu Hause war und Schulaufgaben machte, während ich mich mit einem Hund vergnügte. Außerdem hätte Amani einen starken Charakter und würde niemals auf die schiefe Bahn geraten. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und erklärte ihr, ich hätte auch einen starken Charakter, und Mama sagte, ja, ja, das wüsste sie doch. Die Straßen seien nun mal voll mit gefährlichen Menschen, ein kleiner Junge wie ich habe dort nichts verloren. Ich erwiderte, ich sei groß genug und könne sehr gut auf mich aufpassen, außerdem hätte ich Tony, den besten Bodyguard der Welt. Mama lachte und meinte, es sei beschlossene Sache, weitere Diskussionen seien Zeitvergeudung.
    Wir standen an der Bushaltestelle. Es war ein heißer Tag, für Pirmasenser Verhältnisse viel zu heiß. Wir stiegen in den Bus, eine Klimaanlage gab es nicht, die Luft war stickig und fest. Mama berichtete immer, die Luft im Libanon sei anders gewesen, und wenn der Wind richtig wehte, gelangte der salzige Geschmack des Meeres in die Lager und schenkte den Menschen ein kurzes Gefühl von Freiheit. Schweißperlen rannen über mein Gesicht, mein Kragen würgte mich, und mein Mund fühlte sich rau wie Schleifpapier an. Der alte Bus erwischte ein Schlagloch und ließ die Fahrgäste hin und her wackeln. Meine Mutter legte ihre Hand auf meinen Arm.
    »Benimm dich, Wasiem. Du hast Glück, die Frau hat zwei Söhne, mit denen du spielen kannst.« Ich nickte. Mama brauchte mir nicht zu sagen, dass ich mich benehmen musste. Nicht widersprechen, höflich sein, nichts sagen, wenn man nicht gefragt wurde, ruhig sitzen bleiben, bei Fremden nicht um Essen oder Trinken bitten, solange man es nicht angeboten bekam.
    Die Benimmregeln waren fest in meinem Verhaltensmuster verankert. Darauf hatte Baba immer viel Wert gelegt – auf gutes Benehmen –, und wer sich nicht benehmen konnte, bekam Prügel. Mama drückte die Klingel eines grauen Hochhauses. Eine ältere, übergewichtige Frau öffnete die Tür. Ein müdes Lächeln huschte über ihre trockenen, eingerissenen Lippen. Sie hatte eine Zigarette zwischen die dicken Finger geklemmt, die Asche fiel auf den Teppich. Ihre Haut war genauso grau wie der Plattenbau, in dem sie lebte. Ich erinnerte mich an eine Dokumentation über Chamäleons. Chamäleons ändern ihre Hautfarbe, um sich der Umgebung anzupassen und von Feinden unerkannt zu bleiben. Ich fragte mich, ob sich diese Frau an ihr Zuhause angepasst hatte und das besonders hässliche Exemplar eines menschlichen Chamäleons war. Als ich an ihr heruntersah, fiel mir ihre alte löchrige Hose auf. Mama begrüßte sie, doch ich wollte nicht so recht glauben, dass meine Mutter vorhatte, mich bei einer Frau zu lassen, die aussah, als würde sie mich gegen eine Kiste Bier eintauschen. Mama drückte ihr einen Sack Kartoffeln in die Hand, was wahrscheinlich die Bezahlung sein sollte, und ich fragte mich, ob jemand, der Kartoffeln als Zahlungsmittel annahm, wirklich als Nanny geeignet war. Ich wollte nicht bleiben, doch Mama meinte es nur gut mit mir, also behielt ich meine Gedanken für mich. Außerdem interessierte meine Meinung sowieso niemanden.
    Mama verabschiedete sich von mir und ging zur Arbeit. Die Frau, die sich als Yenge, das türkische Wort für Tante, vorstellte, führte mich in ihre Wohnung. Sofort umfing mich eine Wolke, die nach Bier und Rauch stank. Ein grüner, von Brandflecken durchlöcherter Teppich

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