McDermid, Val
in sich zusammengesunken sah sie viel jünger aus als
vierzehn. »Sie sagten, dass Jennifer gestorben ist«, sagte sie, sobald Ambrose
das Zimmer betrat. »Sie meinen, jemand hat sie getötet, oder?«
»Ja, leider«, bestätigte
Ambrose und setzte sich ihr gegenüber, während ihre Mutter wieder eine
beschützende Haltung einnahm. »Es tut mir leid.«
»Ist sie ... hat jemand ...Hat
jemand ihr weh getan? Ich meine, natürlich hat man ihr weh getan, weil sie
umgebracht wurde, klar. Aber war es, also, wurde sie gequält?«-Offensichtlich
wollte sie beruhigt werden. Ambrose belog im Allgemeinen Zeugen nicht, aber
manchmal war es die menschlichste Vorgehensweise.
»Es muss sehr schnell vorbei
gewesen sein«, erwiderte er, und seine leise brummelnde Stimme war schon ein
Trost an sich. »Wann ist es passiert?«, fragte Claire.
»Genau wissen wir es noch
nicht. Wann hast du sie zuletzt gesehen?«
Claire holte tief Luft. »Wir
kamen zusammen aus der Schule. Ich dachte, sie würde mit zu mir kommen, weil
wir Bioaufgaben machen mussten, und die naturwissenschaftlichen Fächer machen
wir normalerweise hier, weil mein Dad Dozent für Chemie ist und uns helfen
kann, wenn wir nicht klarkommen.
Aber sie sagte, nein, sie
würde nach Haus gehen, weil ihr Vater morgen nach Hause kommt, und sie wollte
einen Kuchen backen. So als Willkommensgruß.«
»Das ist nett. Hat sie immer
so etwas Besonderes gemacht, wenn ihr Vater weg gewesen war?«
Claire zuckte mit den Achseln.
»Das weiß ich eigentlich nicht. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie schon
einmal so etwas getan hat, aber ich habe auch nicht besonders darauf geachtet.
Er ist ja dauernd unterwegs, ihr Dad. Manchmal nur für zwei Nächte, aber in
letzter Zeit war er wochenlang weg.«
»Es ist wegen der boomenden
Wirtschaft in China und Indien«, unterbrach ihre Mutter. »Er muss die neuen
Märkte nutzen, deshalb ist er so viel weg gewesen.« Ambrose wünschte, Claires Mutter
würde sich raushalten. Er versuchte immer, Befragungen so zu gestalten, dass
sie wie ein normales Gespräch liefen. So konnte man Menschen am besten dazu
bringen, mehr zu sagen, als sie beabsichtigten. Er hasste es, wenn andere Leute
diesen Fluss unterbrachen. »Und das ist alles, was Jennifer über ihre Pläne
berichtete? Dass sie nach Haus gehen würde, um einen Kuchen zu backen?«
Claire runzelte die Stirn und
versuchte, sich zu erinnern. »Ja. Ich war ein bisschen sauer, dass sie mir
vorher nichts davon gesagt hatte. Weil wir uns nämlich nicht im Stich lassen.
>Freundinnen können sich aufeinander verlassen< das ist unser Slogan.
Ich meine, sie hat mich nicht mal gefragt, ob ich mitkommen und ihr helfen
wollte.«
»Es kam dir also in dem Moment
etwas komisch vor? Dass Jennifer einfach so aus heiterem Himmel damit kam?«
»Schon.« Claire nickte. »Ich
meine, ist ja keine große Sache, oder? Nur sah es ihr nicht ähnlich. Aber ich
wollte ja deswegen keinen Streit mit ihr anfangen, verstehen Sie? Dass sie
etwas Nettes für ihren Dad tun wollte, das war ihre Sache.«
»Wo habt ihr euch dann
verabschiedet?«
»Na ja, das haben wir
eigentlich gar nicht. Nicht ausdrücklich. Sehen Sie, wir stehen an der
Bushaltestelle, und der Bus kommt, und ich steige zuerst ein, dann sagt
Jennifer plötzlich: >Ach, ich hab vergessen, dass ich Schokolade für den
Kuchen kaufen muss, ich geh noch zum Co-op.< Fünf Minuten von der Schule
gibt es so einen kleinen Co-op, wissen Sie? Ich bin also im Bus, und sie drängt
sich an den Leuten vorbei und steigt aus, und da sehe ich sie schon am Bus
vorbeigehen runter auf den Laden zu. Und sie winkt mir zu, ganz freundlich und
ruft noch: >Bis morgen dann.< Na ja, es sah jedenfalls so aus, als hätte
sie das gerufen.« Claires Gesicht verzog sich, und Tränen rannen ihr über die
Wangen. »Da hab ich sie zum letzten Mal gesehen.«
Ambrose wartete, während ihre
Mutter Claire übers Haar strich und ihr mit sanften Worten half, sich zu
fassen. »Es klingt, als sei Jennifer an dem Abend nicht ganz sie selbst
gewesen«, meinte er. »Sie hat sich ein bisschen untypisch verhalten, oder?«
Claire zuckte mit einer
Schulter. »Ich weiß nicht. Ja, vielleicht.«
Ambrose, Vater eines Sohnes im
Teenageralter, erkannte dies als Jugendsprache für »durchaus«. Er warf ihr ein
kurzes, vertrauensvolles Lächeln zu. »Ich weiß, dass du nichts sagen willst,
das sich anhört, als würdest du Jennifer verraten, aber bei der Untersuchung
eines Mordfalls gibt es keinen Raum für
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