McDermid, Val
Betreuungsdienst, manche Ermittlungsleiter bestanden darauf,
es selbst zu übernehmen. In Carol Jordans Sondereinsatzteam galt die gleiche
Regel wie für alles andere auch: Die Person, die am besten dafür geeignet war,
übernahm die Aufgabe. Und deshalb war es Paula, die es öfter erledigen musste,
als fair war.
Da es sowieso an ihr
hängenblieb, war es ihr immer lieber, die Aufgabe allein zu erledigen. So
musste sie sich nicht noch zusätzlich um andere kümmern außer der trauernden
Person, die, mit einem Toten konfrontiert, entscheiden musste, ob dies
tatsächlich die Überreste waren, und die die Bestätigung ihrer schlimmsten
Ängste vor sich hatte. Die Kollegin von der psychologischen Opferbetreuung war
bereits seit dem frühen Morgen bei den Morrisons. Man hatte ihnen gesagt, es
sei möglich, dass die Leiche, die gefunden worden war, ihr Sohn sein könnte.
Aber Paula wusste, dass sie das noch von sich wiesen und überzeugt waren, dass
es am Tatort ein groteskes Durcheinander gegeben haben musste und dass ein
Fremder versehentlich als ihr geliebter Junge identifiziert worden war. Bis sie
Daniels Leiche mit eigenen Augen sahen, würden sie sich an diesen letzten
Funken Hoffnung klammern. Diese Möglichkeit würde Paula ihnen entreißen
müssen.
Die Kollegin von der
psychologischen Opferbetreuung führte sie in die Küche, wo die Luft völlig
verqualmt war. Jessica Morrison saß an einem Tisch mit Marmorplatte und starrte
durch den Wintergarten in die Dunkelheit hinaus. Eine noch volle Tasse Tee
stand neben ihren gefalteten Händen. Ihr Make-up haftete an ihrer Haut wie der
Guss auf einem Kuchen. Ihre Augen waren blutunterlaufen und starrten wild, das
war der einzige Hinweis auf den Schmerz, der sie erfüllte. Ihr Mann saß auf
einem hohen Stuhl an der Frühstücksbar, einen vollen Aschenbecher neben seinem
Handy und dem Festnetztelefon. Als Paula hereinkam, konnte er den Gesichtsausdruck
gequälter Hoffnung nicht unterdrücken. Sie schüttelte leicht den Kopf. Er
öffnete den Mund, aber es kamen keine Worte heraus. Er zog ein Päckchen
Zigaretten aus der Tasche seines zerknitterten Hemdes und zündete sich eine an.
»Ich habe seit fast zwanzig Jahren nicht mehr geraucht«, erklärte er.
»Erstaunlich, wie es wieder da ist, als hätte man nie aufgehört.«
Falls es eine einfache Art und
Weise gab, dies zu bewältigen, dann hatte Paula sie noch nicht gefunden. »Ich
fürchte, einer von Ihnen wird mit mir kommen müssen. Wir müssen wissen, ob es
Daniel ist, den wir heute gefunden haben«, sagte sie. »Es tut mir leid, aber es
ist nötig.«
Jessica stand auf, steif wie
eine alte Dame mit Arthritis. »Ich komme mit.«
»Nein.« Mike sprang von seinem
Stuhl und hob eine Hand. »Nein, Jess. Du bist dem nicht gewachsen. Ich mach es.
Ich gehe mit ihr. Bleib du hier. Du brauchst ihn nicht so zu sehen.«
Jessica blickte ihn an, als
sei er verrückt. »Es ist nicht Daniel. Also macht es keinen Unterschied. Ich
gehe schon.« Er sah angeschlagen aus. Mehr in Kontakt mit der Wirklichkeit,
dachte Paula.
»Und wenn er es doch ist? Ich
kann es tun, Jess. Das ist nichts für dich.« Er legte ihr die Hand auf den Arm.
Sie schüttelte ihn ab. »Wenn es Daniel ist, was ich keinen Moment glaube, dann
muss ich ihn sehen. Ich bin seine Mutter. Niemand sonst hat das Recht zum
Abschied.« Sie ging geradewegs an ihm vorbei, den Flur entlang auf die Tür zu.
Mike Morrison sah Paula
flehentlich an. »Sie ist nicht stark genug, um das auszuhalten«, versicherte
er. »Ich sollte es machen.«
»Ich denke, Sie sollten auch
mitkommen«, erwiderte Paula. »Sie wird Sie brauchen. Aber ich glaube, sie hat
recht. Sie muss ihn selbst sehen.« Sie berührte ihn leicht am Arm und folgte
Jessica zum Auto hinaus.
Paula war dankbar, dass es nur
eine kurze Strecke zum Bradfield Cross Hospital war, in dem Dr. Grisha
Shatalovs Pathologie untergebracht war. Die Stimmung im Wagen war sehr
gedrückt, das Schweigen schwoll an und füllte den ganzen Raum. Paula parkte auf
dem für den Leichenwagen reservierten Platz und ging durch den diskreten
Hintereingang in das Gebäude hinein. Die Morrisons folgten ihr wie Tiere zur
Schlachtbank. Sie führte sie in ein kleines Zimmer, das in gedeckten Farben
gestrichen und mit einer langen Couch gegenüber einem an der Wand befestigten
Monitor ausgestattet war. »Vielleicht möchten Sie sich setzen«, sagte sie.
»Wenn Sie bereit sind, werden wir Ihnen das Bild zeigen, das Sie für uns
identifizieren
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