Mea culpa
ich wollte ganz bald ins Bett. Und da begriffen sie, dass etwas nicht stimmte. Meine Eltern, meine ich.«
Allein die Erinnerung reicht schon, das Entsetzen packt mich wieder, presst mein Herz zusammen, und ich denke an den Brief, verdränge ihn aber.
»Das Schlimmste war, dass mein Vater gelacht hat. Ich erzählte, wovor ich so schreckliche Angst hatte, und er lachte. Das war schrecklich. Er roch nach Aquavit und fuhr mir durch die Haare und sagte, ich solle solchen Trotteln nichts glauben, und ich dürfe überhaupt nicht alles glauben, was in der Zeitung steht.«
»Aber das war keine Hilfe.«
Asha holt mehr Kaffee, greift nach einer Kanne aus einem Metall, das aussieht wie Silber, aber keine ist, sie gießt mir zu viel ein, ich kleckere wieder, aber das macht nichts, und der Kaffee ist schon fertig gezuckert.
»Nein, wirklich nicht. Er lachte nur, machte Witze und ging. Und heute kann er sich nicht mehr daran erinnern, wirklich nicht. Na gut. Zu Silvester habe ich mich im Badezimmer eingeschlossen, ich lag auf dem Boden, presste das Ohr gegen die Fliesen und rechnete damit, auf diese Weise irgendeine Vorankündigung zu hören.«
»Und was ist dann passiert?«, fragt Asha lächelnd.
»Es kam einer der glücklichsten Momente in meinem Leben. Mitternacht kam und ging, und ich hörte nur meine Mutter, die an die Tür hämmerte und rief, ich solle kommen und mir vor dem Schlafengehen noch das Feuerwerk ansehen. Ich war so erleichtert, dass ich Gott eine endlos lange Liste von guten Taten versprach.«
»Glaubst du an Gott?«
»Nein.«
Petter steht in der Tür. Die beiden führen ein leises Gespräch, ich verstehe kein Wort, aber die Bedeutung liegt auf der Hand, er dreht sich um und macht ein saures Gesicht, dann trottet er zum letzten Mal zurück zu seinem Bett.
»Vielleicht solltest du den Brief lesen«, sagt Asha und zündet an der fast heruntergebrannten Kerze eine neue an.
»Ja, schon möglich«, sage ich und starre in die Flamme.
»Worum geht es da?«, fragt sie.
»Um etwas Entsetzliches«, sage ich.
»Hast du etwas getan, weswegen du dich schämen musst?«
»Ja.«
»Ist es etwas, worüber du mit mir sprechen möchtest?«
»Nein.«
»Na gut.«
»Das Problem ist, dass ich so viel getan habe, dessen ich mich schämen müsste, dass ich aber keine Schuldgefühle empfinde. Das ist meine größte Sünde, und in der Hinsicht ist mein Schuldgefühl riesengroß. Verstehst du das? Ist es überhaupt möglich, so etwas zu verstehen? Kann irgendwer begreifen, wie sehr es bedrückt, einen solchen Mangel an Schuldgefühl mit sich herumzuschleppen?«
Ich möchte weinen, aber das ist nicht möglich. Nicht hier, in diesem spartanisch eingerichteten Zimmer, fast ohne Möbel, mit angestrichenen Mauern und einer alten Frau in einem Schaukelstuhl. Es ist kein Ort zum Weinen, es ist ein Ort der Ruhe, und das Zwielicht ermöglicht gefährliche Gespräche.
»Ich bin wirklich schuldig. Da würden alle zustimmen, wenn sie meine Geschichte hörten. Aber ich empfinde sie nicht. Die Schuld. Mit mir stimmt etwas nicht. Mit mir stimmt etwas ganz und gar nicht, und das ist unerträglich.«
»Und deshalb bist du hergekommen«, sagte Asha und sieht mich an, intensiv, ihre Augen spiegeln die Kerzenflamme, und hinter ihrem schmalen Gesicht scheint ihr Schädel zu brennen.
»War das eine Frage oder eine Feststellung?«
»Eine Frage.«
Petter schläft noch immer nicht. Ich höre es nicht, aber ich weiß es.
»Mea culpa extrema absentia conscientiae culpae est.«
Das flüstere ich, aber mein Flüstern ist im Zimmer klar zu vernehmen, klarer als leises Gemurmel. Asha hebt überrascht das Gesicht.
»Nur mein Gedächtnis«, sagte ich eilig. »Keine Lateinkenntnisse. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum ich hier bin. Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass ich fort musste. Nicht, um wegzulaufen, glaube ich, auch wenn ich durchaus mit diesem Gedanken gespielt habe. Auf jeden Fall nicht nur. Ich bin hier, weil … nur, weil ich Norwegen verlassen habe, weil ich jetzt weit, weit weg bin, nur so kann ich ein Versprechen halten, das ich … Ich habe mein Leben für dieses Versprechen verpfändet.«
»Aber der Brief, was ist mit dem Brief?«
»Der Brief kann mich zur Heimkehr zwingen. Aber ich kann nicht nach Hause fahren. Das ist ganz einfach unmöglich. Und deshalb ist der Brief eine Katastrophe. Kann eine sein.«
»Ich glaube, es geht auf Mitternacht zu«, sagt Asha. »Ich glaube, du solltest den Brief
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